: Die Schweiz verliert ihre Gelassenheit
■ Die Wahl zur Olympiastadt 2006 anstelle Sions verdankt Turin mehreren Faktoren – nicht zuletzt auch Fiat und dem IOC
Rom (taz) – Man hatte gelernt aus der Niederlage vor zwei Jahren, als Rom die Olympischen Sommerspiele schon sicher glaubte und dann doch Athen unterlag: Keine Jubelfeiern waren vorgesehen, kein Feuerwerk, nichts. Und so sprudelte zwar in Seoul, wo die Olympia-Gewaltigen über die Vergabe der Winterspiele berieten, kräftig Champagner bei der italienischen Delegation. Aber zu Hause fragten die Bürger vorsichtshalber erst mal nach, ob die Nachricht stimmte. Natürlich stimmt sie: Turin ist die Olympiastadt 2006. Erst gestern kamen die sowieso überwiegend kühlen Piemontesen langsam in Feierstimmung.
Sechs Kandidaten hatten den Delegierten des IOC zur Wahl gestanden: neben Turin das schweizer Sion, das österreichische Klagenfurt, das finnische Helsinki, das polnische Zakopane und Poprad-Tatry aus der Slowakei. Schon im Vorfeld hatten sich die Turiner bemerkenswert zurückgehalten, der Aufstieg des neben Juventus zweiten großen Fußballclubs AC Torino in die erste Liga stand wesentlich mehr im Mittelpunkt des Interesses.
Ganz anders in der Schweiz. Dort war das Interesse gewaltig. Sion wähnte sich als Topfavorit. Vor vier Jahren war man erst in der Endausscheidung an Salt Lake City gescheitert, konnte in der später aufgerollten Korruptionsaffäre glaubwürdig eine weiße Weste behalten und hatte das eigene Image immer mehr verbessert. Besonders der Umweltschutz und die sogenannte Nachhaltigkeit, wonach Olympische Spiele einen bleibenden Aufschwung bringen sollen, standen im Mittelpunkt.
Eigentlich schien nichts mehr schiefgehen zu können, als Bundesrat Adolf Ogi mit den Ski-Olympiasiegern Pirmin Zurbriggen und Maria Walliser in Seoul auf das Abstimmungsresultat warteten. Entsprechend „sehr enttäuscht“ sind Ogi, der Kanton Wallis und das ganze Land. IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, mit seinem Unternehmen steuergünstig in Lausanne ansässig, hat die Schweizer ermahnt, „zur traditonellen Gelassenheit“ zurückzukehren.
In Italien aber quellen große Worte des Eigenlobs aus den Verlautbarungen auch der Politiker. Eine Anerkennung der „führenden Rolle Italiens in der Welt“ sah Regierungschef D'Alema in der Zuerkennung, und Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi telefonierte mit der großen Sponsor-Familie der Spiele, den Fiat-Autobauern Agnelli, deren Stammsitz bekanntlich Turin ist.
Daß Turin gleich bei seiner ersten Bewerbung Erfolg hatte, liegt wohl an mehreren Faktoren. So war die Finanzierung durch den italienischen Staat und Agnelli jederzeit sichergestellt, die industrielle und wirtschaftliche Metropole des Piemonts ist leicht erreichbar, und die Bevölkerung und die politischen Parteien standen und stehen hinter dem Projekt. Dennoch gab es genügend Kritik, so an den durch die Aufteilung der Wettkampfstätten auf neun Gemeinden entstehenden weiten Wegen. Aber auch daß die offenbar in letzter Minute zusammengestoppelte Bewerbung große organisatorische und logistische Probleme verschweigt, fiel manchem Beobachter auf.
Trotzdem: Ein Komplott, wie es die unterlegenen Schweizer nun unterstellen, ist die Vergabe der Spiele an Turin wohl nicht. Auch wenn der Ausgang der Stichwahl (36:53) tatsächlich eine Spätfolge der Korruptionsaffären des IOC sein könnte: War es doch mit dem IOC-Mitglied Marc Hodler ein Schweizer, der letztes Jahr die Bestechlichkeit vieler seiner Kollegen aufgedeckt hatte. Aber mit Turin hat sicher eine Stadt gewonnen, die in der Lage sein wird, die Spiele angemessen austragen zu können. Auch wenn die bisher veranschlagten gut dreieinhalb Milliarden Mark für die Ausrichtung bei weitem nicht ausreichen werden, um die Skifahrer und Rodler, Eisschnell- und Kunstläufer und Schanzenspinger mit neuen Wettkampfstätten auszurüsten. Georg Gindely
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