: Auf die Warteliste
■ Zahnärzte verteilen „Knöllchen“ gegen die Gesundheitsreform / „Überzogene Darstellung“, sagen die Kassen / Verunsicherung oder Information der Patienten?
Die Zahnärzte in Bremen schlagen Alarm: In einer bundesweiten Aktion gegen die Gesundheitsreform, die im September im Bundesrat beschlossen werden soll, wollen sie diese Woche in ihren Praxen „Knöllchen“ verteilen. Eigentlich ist das ganze nur eine Postkartenaktion, die den Politikern wegen der Gesundheitsreform noch einmal Dampf machen soll.
Das Gesetz bedrohe „die Behandlungsansprüche der Patienten“, sagt Dr. Peter Boehme, Präsident der Zahnärtzekammer Bremens. Boehme und auch der Geschäftsführer der Ärtzekammer Andreas Scholz sind vor allem gegen die Globalbudgetierung, die den Ärzten mehr Planungen aufbürdet und eine „Mammutbürokratie“ fördere. „Mit der Budgetierung der Ausgaben, wird auch die Leistung budgetiert“, sagt Scholz. Die Patienten fänden sich ihrer Meinung nach bald auf der Warteliste wieder, wenn sie Zahnersatz benötigten. Bräuchte Patient A im Dezember dringend eine Krone, könne es sein, daß sein Zahnarzt das Buget schon erschöpft hat. Die Krone gäbe es dann erst wieder im Januar.
Für die Krankenkassen dagegen ist das Schwarzmalerei: Für die Patienten ändere sich nichts. „Mit diesem Schreckgespenst arbeitet die Zahnärzteschaft schon seit Jahren“, sagt Dieter Volkmann. Für den Sachgebietsleiter Vertragswesen des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) werden mit der Knöllchen-Aktion „wieder einmal die Patienten verunsichert und vor den Karren eigener Interessen gespannt“. Die Budgets richten sich nach den Umsätzen von 1997. „Wer sich an den Rahmen von 1997 hält, wird auch im späten Jahr noch Zahnersatzbehandlungen durchführen können“, ergänzt Kollege Norbert Kaufhold von der AOK.
Schon seit der Seehofer-Reform 1993 gibt es Budgetierung. Neu ist nur die Budgetierung für den Zahnersatz. Und auch da habe der Arzt relativ großen Ermessensspielraum, sagen die Kassen. Vielleicht müsse gar nicht immer gleich eine neue Krone her, vielleicht tut's ja im ein oder anderen Fall nochmal eine Füllung, rät Volkmann.
Für viele Ärzte dagegen ist nach sieben Sparjahren das „Ende der Fahnenstange erreicht“, sagt Zahnarzt Scholz. „Weil es eine negative wirtschaflichte Prognose gibt, ist der Ausbildungsmarkt im Vergleich zum vergangen Jahr um 50 Prozent rückläufig.“ Die Kammer sieht Arbeitsplätze in Praxen gefährdet.
Eine Ärztin am Ostertor will jetzt mit anderen Ärzten Klage gegen die Budgetierung einreichen. Viele ihrer Patienten sind Studenten oder Sozialhilfeempfänger und von Zuzahlungen befreit. Sie bekommen beim Zahnersatz hundert Prozent erstattet. Das Budget der Ärtzin wäre dann schneller verbraucht als bei Ärzten mit Patienten, die 40 bis 45 Prozent dazuzahlen müßten. Das zeige die Ungerechtigkeit des Systems, erklärt Kammerchef Boehme. Mit der Postkartenaktion sollen vor allem die Patienten aufgeklärt werden.
Für AOK-Mitarbeiter Kaufhold „trauern die meisten Ärzte besseren Vorjahren nach“. 1998 dagegen wären die Honorare der Ärzte schon drastisch gefallen. Die Gesundheitsreform baue auf dem Umsatz von 1997. In diesem Jahr werde es also eher besser für die Ärzte. Insgesamt, so die Erfahrung der Kassen, hätten jüngere Ärzte weniger Probleme damit, den „Gürtel enger zu schnallen“ als Kollegen, die schon 15 Jahre im Berufsleben ständen. pipe
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