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89 zu 11 in Bremen

■ Große Einigkeit in der Großen Koalition: Die CDU büßt einen Senator ein, das Stimmverhalten im Bundesrat bleibt wie gehabt

Bremen (taz) – Also, daß der Manager des Fußball-Bundesligisten SV Werder, Willi Lemke, jetzt zum SPD-Bildungssenator der neuen Bremer Regierung gekürt wird (siehe Portrait, S. 13), das wundert den CDU-Chef Bernd Neumann schon ein wenig. „Das ist ein Coup, der Schlagzeilen auslöst“, sagte er gestern, als er seinerseits die drei CDU-Senatoren des zukünftig siebenköpfigen Senats präsentierte. Aber zuviel lästern wollte er auch nicht über diese Personalentscheidung, die von SPD-Bürgermeister Henning Scherf initiiert worden sein soll und am Sonntag mit 15 gegen eine Stimme vom SPD-Landesvorstand abgesegnet wurde.

Vor knapp zwei Jahren hat die CDU nämlich genau das gleiche gemacht. Damals war der Ex-Chef der Bremer Brauerei Beck's, Josef Hattig, zum Wirtschaftssenator ernannt worden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Politik-Rhetorik avancierte der knorzelige Manager bald zum Liebling der Bremer Unternehmer. Hattig ist denn auch diesmal wieder an Bord. Hartmut Perschau bleibt zweiter Bürgermeister und Finanzsenator, Ex-Bauleiter Bernt Schulte wird zum Innen-, Kultur- und Sportsenator. Rechts außen vor bleibt einzig der ehemalige Law-and-order-Innensenator Ralf Borttscheller.

Das zweite neue Gesicht in der SPD-Senatoren-Riege neben Willi Lemke, dessen „kommunikative Fähigkeiten“ SPD-Chef Detlev Albers gestern lobpries, gehört der ehemaligen Frauenbeauftragten Bremerhavens: Hilde Adolf wird die Ressorts Arbeit, Gesundheit und Soziales übernehmen. Scherf bleibt Justizsenator, Christine Wischers Umweltressort wird neu zugeschnitten und um Bauen erweitert.

Abgesehen von der Lemke-Überraschung mündeten die zweiwöchigen Koalitionsverhandlungen in fast vollkommener Harmonie der neuen und alten Koalitionäre. Verständnis äußerte etwa CDU-Chef Neumann dafür, daß die Christdemokraten auf Drängen der SPD einen von vormals vier Senatorenposten einbüßen mussten. Die SPD habe einfach die besseren Argumente gehabt, weil das (achte) Hafenressort aufgelöst wurde und nun dem Wirtschaftssenator untersteht.

Auch inhaltlich sind die beiden Parteien auf einer Linie. Die Eckpunkte des Koalitionsvertrags, am Sonntag vorgestellt, lesen sich wie die Beschreibung der Politik der vergangenen vier Jahre: Weitere Flächen sollen bebaut, der Sparkurs des hoch verschuldeten Landes beibehalten werden. Einigen konnten sich die Unterhändler von CDU und SPD auch in der strittigen Frage, das Feuchtgebiet Hollerland für den universitären Technologiepark zu nutzen: Vorerst bleibt die Fläche unangetastet. Auch beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat bleibt alles beim alten. Damit ist eine rot-grüne Mehrheit dank Scherf in der Länderkammer vorerst ausgeschlossen.

Den Grünen wurden bescheidene Minderheitenrechte eingeräumt. Denn die einzig verbleibende Opposition im Parlament (neben dem DVU-Abgeordneten Siegfried Tittmann) hätte mit ihren nunmehr zehn Abgeordneten nicht einmal einen Untersuchungsausschuß einfordern oder den Staatsgerichsthof anrufen können. Von den 100 Abgeordneten stimmen jetzt 89 für die Große Koalition.

Doch auch für die Mehrheit der SPD-Abgeordneten in der Bürgerschaft, so sollte man denken, kommen jetzt vier harte Jahre: Immerhin sind geschätzte zwei Drittel der SPD-Parlamentarier eigentlich auf rot-grünem Kurs.

Doch Scherf kriegt sie alle rum: Gegen den Schmusekurs mit den Schwarzen erhob sich parteiweit nicht der Funke eines Protests. Man fühle sich jetzt dem Wählerwillen verpflichtet, ist allenthalben zu hören. Taktiker Scherf hat alle auf seine Linie gebracht. Christoph Dowe

Abgesehen von der Lemke-Überraschung mündeten die Koalitionsverhandlungen in vollkommene Harmonie

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