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Mit Riester gegen die Bösen im Kanzleramt

■  In der SPD-Fraktion bekommt der Arbeitminister viel Beifall. Nicht, daß sein Konzept so gut wäre – die Abgeordneten wollen Dampf ablassen. Sie fühlen sich vom Kanzler übergangen. Schröder weiß schon seit drei Wochen über die geplante Rentenreform Bescheid, fand die Einzelheiten jedoch nicht so interessant

Da hat sich Arbeitsminister Walter Riester wohl verplappert. Kam raus aus der Fraktionssitzung der SPD, sagte den wartenden Journalisten, ganz Profi: „wir werden das Rentensystem zukunftssicher gestalten“, und auf die spannendste Frage, ob die Zwangsrente vom Tisch sei, daß darüber weiter diskutiert werde. Aber als er dann vier Punkte zur Rente aufzählte, sagte Riester: „Wir wollen die Eigenvorsorge durch steuerliche Erleichterungen begünstigen“. Begünstigen also, nicht erzwingen. Die Zwangsrente scheint vom Tisch.

Der Beifall für den von Rücktrittsgerüchten umrankten Riester vor der Fraktion war wieder mal groß gewesen. Nicht weil alle so einverstanden mit der Arbeit des Ministers sind. Sie wollen ihm den Rücken stärken, gegen die Bösen im Kanzleramt, die durch ihr Hü und Hott Riester zum Abschuß freigeben. Schließlich waren der Kanzler und seine Mitarbeiter schon vor drei Wochen über Riesters Rentenpläne informiert worden, hatten sich aber, wie der Spiegel schreibt, für die Einzelheiten wenig interessiert. Beifall für Riester wird in der Fraktion neuerdings immer als Kritik am Bundeskanzler und Kanzleramtsminister Bodo Hombach verstanden.

Welche Ergebnisse Riesters zu beklatschen sind, weiß noch niemand so genau. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler erklärte nach der Fraktionssitzung: „Es ist noch gar nichts entschieden.“ Auch die von Riester geplante Aussetzung der automatischen Anpassung der Renten an die Nettolöhne für die nächsten beiden Jahre ist nach Angaben aus SPD-Kreisen noch nicht in trockenen Tüchern.

Finanzminister Hans Eichel bekam in der Fraktion auffallend wenig Beifall. Sein Sparpaket kommt manchen Sozialdemokraten so vor, als sei es vom neoliberalen Flügel der alten Koalition gemacht: So stößt es vielen sauer auf, daß bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe allein in den nächsten zwei Jahren 9,9 Milliarden Mark eingespart werden sollen.

Ursprünglich sollte am gestrigen Montag über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer abgestimmt werden. Aber das bog Eichel ab. Er fürchtet die Diskussion um eine neue Steuererhöhung. Schließlich legt die Regierung auf die Feststellung Wert, daß sie ohne Steuererhöhung auskommt, womit sie allerdings nur die Mehrwertsteuer meint. Und der Bundeskanzler lehnt die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ohnehin ab. Statt dessen hat der Finanzminister vor, über eine Reform der Erbschaftssteuer abzukassieren. Genaueres haben die Fraktionsmitglieder nicht erfahren.

Immerhin haben sie am Montag ein Eckpunktepapier des Finanzministers erhalten, in dem sie über das informiert wurden, was vorher weitgehend schon im Spiegel nachzulesen war. Da waren sie wieder mal empört. Richtig Dampf ablassen konnten sie aber nicht. Immer wenn es kritisch wurde, ließ Fraktionschef Peter Struck entweder Eichel, Riester oder die Sozialpolitikerin Ulla Schmidt mit Statements zu Wort kommen. Der Ärger über die schlechte Darstellung der Bundesregierung, über die schlechte Koordination und die schlechte Informationspolitik gegenüber den eigenen Reihen – er brodelte, aber dies artikulierte sich nicht in Schuldzuweisungen.

Immerhin sind die Abgeordneten jetzt ausführlich über die vorgesehenen Segnungen der Regierung offiziell informiert. Darüber zum Beispiel, daß die Investitionen in Forschung, Bildung und Wissenschaft Jahr für Jahr um rund eine Milliarde Mark erhöht werden. Was sie allerdings wieder aus der Zeitung lernen müssen: daß das Wahlversprechen der SPD, den Bildungsetat zu verdoppeln verfehlt wird. Lieber hätten die Abgeordneten mehr über die Rentenreform erfahren, die schließlich schmerzhafte Schnitte mit sich bringen wird. Aber dazu müssen sie sich mit Sätzen begnügen wie: „Die Rentenversicherung wird auf eine solide Basis gestellt“. Markus Franz

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