: „Bloß keine Sozialisation im Polizeiapparat“
■ Durch die zweigeteilte Laufbahn befindet sich die Polizeiausbildung in der Krise. Vorbild könnten die USA sein, sagt Thomas Weidmann, der am Fachbereich Polizeivollzugsdienst unterrichtet
taz: Befindet sich die Polizeiausbildung in einer Sackgasse?
Thomas Weidmann: Die polizeiliche Erstausbildung befindet sich durch die zweigeteilte Laufbahn, die in Zukunft nur noch am Fachbereich 3 der FHVR stattfindet, in der Krise. Ein Studium wird nicht für alle Bereiche als notwendig angesehen, weshalb von der Polizeiführung, den Studierenden und einigen Politikern Druck ausgeübt wird, um die Ausbildung in die Polizei einzugliedern.
Ist eine polizeiinterne Fachhochschule denn sinnvoll?
Ich halte sie nicht für sinnvoll, weil die bestehende Fachhochschule schon jetzt einen Minimalkompromiß zwischen einer Berufsausbildung und einem Hochschulstudium darstellt. Die meisten Studierenden des Fachbereichs 3 haben eigentlich gar kein Interesse an einem Studium. 40 Prozent der Dozenten, die dort lehren und aus der Polizei kommen, haben zwar gute fachwissenschaftliche Kenntnisse, aber in der Regel keine wissenschaftliche Qualifikation und können daher auch nicht das für ein Fachhochschulstudim notwendige Grundlagenwissen vermitteln.
Was hätte eine polizeiinterne Fachhochschule zur Folge?
Es würde nur noch die Polizeimeinung in der Ausbildung vermittelt werden. Die Schulungen fänden durch weisungsabhängige Polizeibeamte, nicht mehr durch Professoren statt; auch die Lehrinhalte würden vermutlich von der Polizei vorgegeben. Das hat nichts mehr mit der Freiheit von Forschung und Lehre zu tun.
Was soll ein Polizist, der den Verkehr regelt oder Streife fährt, in der Praxis mit Forschung und Lehre anfangen?
Genau das ist das Problem der zweigeteilten Laufbahn. Die gesamten Tätigkeiten des Polizeidienstes sind dem gehobenen Dienst zugeordnet. Dabei reicht für manche Tätigkeiten eine normale Berufsausbildung aus, so wie dies an der Landespolizeischule geschieht. Erst bei einer gehobenen Sachbearbeitung und bei Führungstätigkeiten genügt eine normale Berufsausbildung nicht mehr. Da müssen Inhalte reflektiert und unterschiedliche Rechtsauffassungen verstanden werden. Durch die zweigeteilte Laufbahn ist hier keine Differenzierung mehr gegeben. Das Ziel der Polizei, aus der gesamten Ausbildung eine Berufsausbildung zu machen, ist also genau der falsche Weg.
Was wäre der richtige Weg?
Für bestimmte Basisbereiche der Polizeitätigkeit sollte so wie bisher eine Berufsausbildung erfolgen. Für Führungstätigkeiten und die besonders komplexe Sachbearbeitung der Kriminal- oder Schutzpolizei müßte ein richtiges Hochschulstudium vorausgesetzt werden. Und das am besten im Wissenschaftsbereich mit einer integrierten Praxisphase, einer vernünftigen Hochschulprüfung mit Diplomarbeit und einer Evaluation von Theorie und Praxis.
Gibt es so etwas bereits in anderen Ländern?
In Bremen war mal ein Modellversuch geplant, der aber aus politischen Gründen gescheitert ist. In den USA und Kanada werden angehende Polizisten zusammen mit Sozialarbeitern ausgebildet. Der Vorteil ist, daß die Ausbildung nicht mehr so strikt auf den Beruf bezogen ist, denn bei einem solchen externen Studium geht es vor allem um abstrakt-methodisches Wissen. Die tatsächliche Berufsfertigkeit wird erst bei Aufnahme der eigentlichen Berufstätigkeit vermittelt. Wichtig ist, daß keine direkte Sozialisation im Polizeiapparat bereits während des Studiums erfolgt.
Was hätte der Bürger von so einer Polizei?
Wenn die Polizisten ein normales Studium und keine polizeiinterne Ausbildung durchliefen, wäre die Akzeptanz besser. Die Polizei wäre bürgerorientierter, weil das Wissen nicht nur auf die polizeiliche Berufstätigkeit bezogen würde, sondern vorher auch reflektiert und auf andere Tätigkeitsbereiche bezogen würde. Die Polizisten hätten damit die Möglichkeit, in andere Berufe zu wechseln, was derzeit nicht möglich ist. Es würde eine Durchlüftung stattfinden. Außerdem würde ein Druck zur Modernisierung der gesamten polizeilichen Struktur entstehen, wenn die Polizei nicht mehr konkurrenzfähig und attraktiv für Bewerber ist.
Interview: Plutonia Plarre ‚/B‘ Thomas Weidmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin und Lehrbeauftragter an der FHVR. Über die Ausbildung an der FHVR führt er derzeit ein Forschungsprojekt durch.
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