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Öcalan: Mama ist an allem schuld

Heute geht der Prozeß gegen den PKK-Chef weiter. Dessen Verteidigung gibt es als Buch. Eine Abrechnung mit Kurdistan und seiner Familie  ■   Aus Istanbul Dilek Zaptcioglu

Das Urteil steht eigentlich schon fest. Dennoch hofft der Angeklagte hofft noch immer auf ein Einlenken höchster Stellen im türkischen Staat, damit es nicht vollstreckt wird. Seine Argumente gegen seine drohende Hinrichtung wird Abdullah Öcalan heute vor dem Staatssicherheitsgericht Nr. 2 auf der Insel Imrali vortragen. Danach werden die Anwälte des PKK-Chefs ihre Plädoyers halten. Und dann werden sich die Richter voraussichtlich einen Tag oder länger Zeit nehmen, bis sie das Urteil aussprechen. Tod durch den Strang wird es lauten – daran zweifelt praktisch niemand mehr.

Öcalans Verteidigungsschrift liegt mittlerweile in Buchform vor. Gedruckt wurde es bei dem kurdischen Verlag „Mem“ in Istanbul. Auf 80 Seiten legt Öcalan seine Bewertung des PKK-Kampfes dar und plädiert für eine „friedliche Lösung der Kurdenfrage innerhalb der demokratischen Republik“ Türkei.

Daß er von alten Reden über die „Selbstbestimmung der Völker“ abgekommen sei und sich auf die demokratische Lösung konzentriert habe, sei auch auf ein Buch von Leslie Lipson zurückzuführen, das er zufällig in die Hände bekommen habe, argumentiert Öcalan. In „Demokratische Zivilisation“ habe er die Inspirationen für seine neuen Gedanken gefunden.

„Sich abzuspalten ist weder notwendig noch möglich“, zieht er die Lehre aus dem 15jährigen Krieg. Ein eigener Staat sei unmöglich, denn dazu bräuchte man die entspechenden wirtschaftlichen, sprachlichen, sozialen und verteidigungspolitischen Bedingungen. Daß diese fehlten, sehe man an der schwierigen Geburt eines Staates im Nordirak.

Öcalan spricht sich auch gegen Autonomie oder ein Föderationsmodell aus, da die feudalen Strukturen im Südosten des Landes nach wie vor domininierten und die Kurden sich überall mit den Türken vermischt hätten: „Ein Zweifaches an Bevölkerung lebt nunmehr in anderen Teilen des Landes und hat sich mit den Türken wie Fingernagel und Fleisch ineinandergebettet.“ Übrig bleibt sein Vorschlag für eine Lösung innerhalb der bestehenden Grenzen nach dem Modell der Schweiz.

Öcalans Selbstverteidigung endet mit persönlichen Erklärungen: „Ich wurde in einer armen Bauernfamilie mit starken feudalistischen Tendenzen geboren und mußte täglich barfuß zum nächsten Dorf in die Grundschule gehen.“ Er sei in einer halb kurdischen, halb türkischen Umwelt aufgewachsen. Die Beziehungen zwischen den Türken und Kurden seien friedlich gewesen. Nach einem Familienstreit habe er „lauthals weinend“ sein Dorf verlassen. „Die Mutter dominierte. Mein Vater war passiv. Mein Rebellentum geht auf meine starrköpfige Mutter zurück.“ Öcalan beschreibt dann seinen Weg von eher religiösem Dasein auf dem Gymnasium bis hin zum kurdischen Nationalisten an der Universität. Er betont mehrmals, daß er versucht hätte, die PKKler vor „sinnloser Gewalt“ zurückzuhalten, nachdem sie mit der Waffe in der Hand in die Dörfer zogen. Er gibt seine Verantwortung für die PKK-Taten zu und räumt ein, daß er viele dieser Aktionen zunächst als Heldentaten angesehen habe. Zugleich behauptet er jedoch, von vielen Anschlägen nichts gewußt zu haben.

Einer von Öcalans Anwälten, Hasip Kaplan, will nach der Urteilsverkündung mehrere Staaten, darunter auch Deutschland, vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verklagen. Da das türkische Parlament vergangene Woche das Gesetz über die Zusammensetzung der Staatssicherheitsgerichte geändert hat, sitzt nun kein Militär mehr auf der Richterbank. Er wurde durch einen zivilen Richter ersetzt, der bisher den Prozeß als Beobachter verfolgt hatten. Damit entfällt für die Anwälte ein wichtiger Beschwerdegrund in Straßburg. Zudem bescheinigte gestern eine zwölfköpfige Beobachtergruppe des Europaparlaments dem türkischen Gericht, der erste Teil des Prozesses sei „korrekt“ verlaufen.

Beobachter gehen davon aus, daß der Prozeß im Lauf der nächsten Woche zu Ende geht. Die Revision beim Kassationshof erfolgt automatisch und nimmt noch einmal mehrere Wochen in Anspruch. Im Falle eines Todesurteiles muß schließlich noch das Parlament in Ankara über dessen Vollstreckung entscheiden. Angesichts der dortigen Mehrheitsverteilung und vor allem der Regierungsbeteiligung der ultrarechten Partei der Nationalen Bewegung MHP dürfte der PKK-Chef auch dort keine Gnade finden.

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