„Keiner wagt den Widerstand“

■ Der Kirchenrechtler Horst Herrmann über die Chancen der Bischöfe, nach dem Veto aus dem Vatikan einen eigenen Weg bei der Schwangerschaftsberatung zu gehen. Ein „Pseudoschein“ ist wertlos

Herrmann war katholischer Priester und Kirchenrechtler an der theologischen Fakultät der Universität Münster. Nach einem kritischen Buch über das Verhältnis von Kirche und Staat wurde ihm 1975 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen und ihm von der Kirche praktisch Berufsverbot erteilt. Er lehrt jetzt in Münster Soziologie.

taz: Gibt es für die Bischöfe nach dem Papst-Brief überhaupt einen Spielraum?

Horst Herrmann: Ich finde, daß es keinen Spielraum gibt. Dieser Brief ist ohnehin dreist. Er bedeutet, daß der Beratungsschein in Zukunft juristisch überhaupt nichts taugt. Die Bundesrepublik beruht auf etwas ganz anderem als den vatikanischen Vorstellungen, und sie kann mit einem sogenannten Beratungsschein, wo unten dransteht, daß es kein Freibrief für Abtreibungen ist, nichts anfangen.

Bleibt den Bischöfen also keine andere Wahl als der Ausstieg?

Sie können sich zwar mit staatlichen Stellen kurzschließen und versuchen, diesen Pseudoschein durchzubringen. Aber welche Frau kann mit so einem Schein denn etwas anfangen, wenn ihm juristisch jede Kraft fehlt. Der gefällt zwar dem Vatikan, aber wir können uns doch nicht vom Papst vorschreiben lassen, wie unsere Formulare aussehen. Damit der Schein rechtliche Wirkung hat, muß er natürlich nach § 218 verwendungsfähig sein – und das ist dieser Schein offensichtlich nicht. Also können die Bischöfe sich an den Staat wenden oder aber an Rom und sagen: So geht es nicht. Das ist eine windelweiche Sache, da gebe ich fast Herrn Dyba [Bischof von Fulda, der bereits aus der Beratung ausgestiegen ist; Anm. d. Red] recht: Entweder, wir steigen jetzt aus oder nicht, aber nicht mit so einem Zwischending, das ist vatikanische Diplomatie.

Also müssen die Bischöfe entweder mit Bonn oder mit Rom brechen?

Ja. Mit Bonn zu brechen wird relativ einfach sein. Die Bundesregierung muß nun möglichst schnell erklären, daß sie mit diesem Schein gar nichts anfangen kann.

Es gab ja die Überlegung, daß zwar unter dem Schein steht, daß er nicht für eine Abtreibung gilt, die staatlichen Stellen ihn aber für eine Abtreibung trotzdem anerkennen. Wäre das möglich?

Das ist wieder vatikanische Haarspalterei. Noch mal sei Dyba genannt, dessen Meinung ich ansonsten überhaupt nicht teile: Entweder wir sind strikt dagegen, dann steigen wir aus. Oder wir machen mit, weil wir in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft leben. Oder wenn die Bischöfe wirklich gezwungen werden, sollten sie ihre Rücktrittsdrohungen wahrmachen. Das ist doch keine Schande, daß ein Bischof oder ein Papst aus lauter Entsetzen über die Untaten seiner Kirche sagt: Ich kann es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren, Bischof dieser Kirche zu sein.

Kann der Papst nach dem Kirchenrecht so etwas einfach anordnen?

Bischof Kamphaus von Limburg hat sich darauf berufen, er sei kein Lakai und keine Marionette des Papstes. Doch nach dem gegenwärtigen Kirchenrecht und dem dogmatischen Unterbau ist das reine Augenwischerei. Der Papst kann mit einem Federstrich nicht nur Bischof Kamphaus, sondern die gesamte Deutsche Bischofskonferenz wegfegen, wenn es hart auf hart geht. Die Bischöfe haben weder dogmatisch noch kirchenrechtlich auch nur die geringste Möglichkeit, dem Papst zu widerstehen.

Es gibt also keinen Spielraum für die Bischöfe und keine Möglichkeit der Bischöfe zum Widerstand?

Was ich den Bischöfen vorwerfe ist dies: Sie kuschen, statt sich hinzustellen und ihre Meinung zu vertreten. Wenn der Papst der Meinung ist, daß die bundesdeutsche Praxis seit dreißig Jahren nichts taugt, dann soll er sagen: Schluß. Dann muß man raus. Aber die Bischöfe leben ja in einem Dilemma. Sie beziehen ihre monatlichen Gehälter aus der Staatskasse, nicht aus der Kirchensteuer. Sie lassen sich also von einem Staat bezahlen, der nach ihrer Auffassung Mord straffrei läßt, aber die Hand halten sie auf. Ich habe von keinem Bischof gehört, der auf sein staatliches Gehalt verzichtet.

Die Bischöfe haben ja bei dieser Frage immer wieder auf Zeit gespielt. Geht das so weiter?

Ich halte davon überhaupt nichts. Es bringt nichts, mit dem Vatikan auf Zeit zu spielen, die Bischöfe werden reinfallen. Ich glaube auch nicht, daß es mit dem Nachfolger von Johannes Paul II. besser wird. Rom hat sich so weit vorgewagt, daß es jetzt schlecht sagen kann: Das war alles nichts.

Hat es überhaupt schon einmal Widerstand von Bischöfen gegen Rom gegeben?

Die Bischöfe haben in den letzten Jahren und Jahrhunderten viel hintenrum geschimpft, aber einen richtigen gruppenbildenden Ungehorsam gegen die Zentrale im Vatikan hat es nicht gegeben. Einzelne haben die Kirche kritisiert, doch die sind rar wie seltene Käfer. Die Priesterausbildung besteht ja auch darin, daß das Rückgrat gebrochen wird, ich muß ja Gehorsam lernen. Und die Bischöfe sind dem Papst noch einmal besonders verpflichtet. Niemand hat es in den letzten Jahrzehnten gewagt, dem Papst zu widerstehen. Es ist völlig ausgeschlossen, daß so etwas jetzt eine ganze Bischofskonferenz tut.

Interview: Bernhard Pötter