Die „Graue Eminenz“ Rußlands

■ Der Öl-Tycoon Roman Abramowitsch gilt als eigentlicher Herrscher in Moskau. Der Präsidententochter bezahlt er angeblich den Skiurlaub

Moskau (taz) – Als letzte Woche in Moskau der Verdacht aufkam, das in Kosovo einmarschierte russische Bataillon habe sich einfach von der Kette losgerissen, widersprach dem der Exbotschafter Rußlands in den USA, Wladimir Lukin: „Die Militärs in Rußland sollen und werden auch weiterhin nur einer Kraft gehorchen, nämlich der politischen Führung. Aber leider wissen wir nicht, wo wir die zu suchen haben.“ Aber die russische Presse war schneller. Sie hat sich auf einen geheimen Führer Rußlands geeinigt. Die Handschrift dieses Mannes wollen die Zeitungen hinter fast allen Personalentscheidungen bei der letzten Regierungsbildung erkennen. Der angebliche Drahtzieher heißt Roman Arkadiewitsch Abramowitsch. Er ist 32 Jahre alt, Erdölmillionär, und noch vor kurzem war in Rußland über ihn nur eines bekannt: Er verfügt über eine phänomenale Gabe, nicht aufzufallen. Bis Anfang Juni gab es in der Öffentlichkeit nicht einmal ein Foto von der jungen Grauen Eminenz.

Doch Abramowitsch ist kein Phantom. Mit der Zeit wurde ein wenig mehr über ihn bekannt. Der gebürtige Ukrainer lebt mit seiner zweiten Frau und an die dreißig Bodyguards auf dem Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebes. Er bewegt sich inmitten einer Wagenkolonne in einem silbernen, gepanzerten Mercedes fort. Die wenigen schließlich doch aufgetauchten Fotos beweisen: Der als freundlich, leise und galant geltende Milchbart ist in der Erdölbranche schnell gealtert. Zur Vorsicht hat er allen Grund. In keiner Sparte fallen in Rußland mehr Manager Kontraktkillern zum Opfer. Die Ursprünge der meisten Firmen sind trübe. Auch Abramowitsch geriet schon einmal vorübergehend ins Visier der Sicherheitsorgane, 1992, in einer Affäre bei der UdSSR-Staatseigentum in Form von 40 Waggons Dieselöl im Wert von rund 20.000 US-Dollar nach Riga rangiert wurde, wo es unbezahlt „versickerte“.

Seine heutige Ölfirma Sibneft, die sechstgrößte in Rußland, erwarb der Schnellaufsteiger klammheimlich über 40 zu diesem Zweck gegründete Mittlerfirmen. Inhaber einer von Sibneft abhängigen Firma namens East Coast Petroleum ist Alexej Djatschenko, Ehemann der Tochter von Präsident Boris Jelzin. Und eine Unterfirma der East Coast Petroleum wiederum, die Belka Trading, verlegte 1994 die Jelzin-Memoiren „Aufzeichnungen eines Präsidenten“ auf englisch. Jelzins Ex-Oberleibwächter Alexander Korschakow erinnert sich, daß Ghostwriter Valentin Jumaschow dem Präsidenten dafür monatlich 16.000 US-Dollar Tantiemen bar aushändigte.

Der Erdöl-Tycoon soll regelmäßig die Skiurlaube von Präsidententochter Djatschenko und Berater Jumaschow in den Schweizer Alpen bezahlt und Djatschenko ein Blockhaus in Garmisch-Partenkirchen gekauft haben. Von Konten des Schweizer Unternehmens Runicom, dessen Repräsentant Abramowitsch in Moskau ist, wurden angeblich zwei Jachten fianziert, auf denen sich auch der traditionelle Manipulator der „Familie“, Boris Beresowski (53), entspannte, der bis vor kurzem die Rolle des Ober-Rasputin bei Hofe spielte. Obwohl Roman Abramowitsch heute über seine Absichten und politischen Ansichten nichts öffentlich verlauten läßt, glaubt ganz Rußland zu wissen, was er denkt. So berichtete diese Woche die seriöse Tageszeitung Kommersant: „Einem hochgestellten Kreml-Beamten zufolge sagte Abramowitsch, Stepaschin sei schlimmer als Primakow.“ Ein vom „Kassierer der Familie“ befürworteter Nachfolger des erst kürzlich von Jelzin eigesetzten Ministerpräsidenten ist auch schon im Gespräch: Außenminister Igor Iwanow. Der hat mit Abramowitsch gemeinsam, daß sich das Land kein rechtes Bild von ihm machen kann. Zwar existieren von Iwanow jede Menge Fotos, aber dafür gilt er politisch als gesichtslos. Barbara Kerneck