: Eichel gelingt die Flucht aus der Zinsenfalle
Der Finanzminister bekämft die Neuverschuldung durch das größte Sparprogramm seit Gründung der Republik ■ Von Christian Füller
Er hat mit einem Dogma gebrochen. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat sich von der ehernen Vorstellung verabschiedet, daß ein Staat nicht pleite gehen kann. Im Vertrauen auf die Bankrott-Immunität machten alle Bundesregierungen bisher kräftig Schulden. Insgesamt haben diese sich inzwischen auf 1,5 Billionen Mark aufgehäuft.
Allein seit Antritt der konservativ-liberalen Regierung Kohl verfünffachten sich die Staatsschulden – mit einem fatalen Effekt auf die jeweils laufenden Haushalte: Die Zinszahlungen für die Schulden strangulieren nämlich die politischen Möglichkeiten. Der zweitgrößte Ausgabeposten im Etat, so klagte der Finanzminister gestern, „sind gleich nach den Sozialausgaben die Zinsen“. Das will der ehemalige Ministerpräsident Hessens nicht mehr hinnehmen.
Hans Eichel hat daher das gigantischste Kürzungspaket legt seit der Gründung der Bundesrepublik aufgelegt. Allein für das Jahr 2000 hat er die Ausgabentitel um 30 Milliarden gekürzt. Aber damit endet die Konsolidierung des Bundesbudgets keinesfalls. Es wird mehrere Jahre dauern, bis der Bonner Sparkomissar den von ihm angepeilten ausgeglichenen Haushalt wird vorlegen können. 2001 und 2002 sollen daher auch jeweils über 30 Milliarden Mark gespart werden; 2003 gar 50 Milliarden Mark.
Daß die Konsolidierung eines quasi bankrotten Staates zu schaffen ist, hat Eichels ehemalige hessische Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing bewiesen. Sie kann als Finanzsenatorin in Berlin für das Jahr 2000 einen Haushalt vorlegen, bei dem Ausgaben und Einnahmen wieder im Gleichgewicht sind. Fugmann-Heesing hat innerhalb von fünf Jahren ein sogenanntes strukturelles Defizit von 8 Milliarden Mark ausgeglichen.
Die Argumente, die Eichel jetzt für die Konsolidierung verwendet, sind die gleichen, die Fugmann-Heesing in Berlin predigte. Es muß „Staatsfinanzen geben, die der nächsten Generation überhaupt eine Chance geben, ihr Leben zu gestalten“, lautet Eichels neue Losung für die Finanzpolitik. Aber die Aufgabe des Bundesfinanzministers ist ungleich größer als die in Berlin. Er will eine fest verbuchte Neuverschuldung von jährlich rund 50 Milliarden Mark auf Null herunterdrücken. Nach seinen Plänen soll dies bis zum Jahr 2006 gelingen. Nicht wenige Budgetexperten bezweifeln, ob dies möglich sein wird.
Eichels Schuldzuweisungen für die miserable Haushalts-Situation waren erwartbar. „Das sind nicht unsere 1,5 Billionen Mark“, erinnerte der Finanzminister daran, wer das Gros der Schulden verursacht hat: die Regierung Kohl. Eichel hat aber auch in einer für Politiker ungewöhnlichen Art deutlich gemacht, daß das notorische Schuldenmachen keine Parteifrage war. „Wir“, sagte der Sozialdemokrat, „wir waren alle Teil des Systems.“ Die Länder haben genauso wie die Bundesregierungen rote Zahlen geschrieben, wenn auch nicht so kraß. Alle zusammen haben, wie Eichel es nennt, ihren Teil zum „Haushaltsnotlagenland“ beigetragen.
Die Opposition zeigte indessen, wie wenig sie von dem fundamental Neuen begriffen hat. In immer neuen Erklärungen biß sie sich gestern an Einzelaspekten des Spar- und Steuerprogramms fest – teilweise an solchen, die gar nicht verabschiedet sind. Eichels Nachfolger in Hessen, Ministerpräsident Roland Koch (CDU), sah einen „Feldzug gegen Pendler und sozial Schwächere.“ Die ehemalige Bauministerin Gerda Hasselfeldt (CSU) warnte davor, eine private Vermögenssteuer einzuführen. Und FDP-Chef Wolfgang Gerhardt, sonst nicht darum verlegen, Ausgabenkürzungen zu verlangen, sprach von einer „Mogelpakkung“. Die schärfste Kritik mußte sich bezeichnenderweise nicht der Finanzminister gefallen lassen, sondern Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Er sei für die „Rentenlüge“ verantwortlich.
Dabei hat allein der Arbeitsminister mehr gespart, als alle Bundesminister der letzten beiden Legislaturperioden unter Helmut Kohl zusammen. Riester hat rechnerisch einen Betrag von 12,5 Milliarden Mark zum Sparpaket beigesteuert – ohne ihn wäre die Jahrhundertaktion Einstieg in die Etatkonsolidierung nie gelungen.
Die Frage, die sich nun stellt, lautet, wie der Tag nach dem großen Kürzen aussehen wird. Und da lohnt es sich offenbar, Hans Eichel, dem neuen Herkules der Finanzpolitik, genau auf die Finger zu sehen. Gestern wurde bekannt, daß Eichel gerne bereit ist, Dogmen zu brechen. Die vom Verfassungsgericht verlangte zweite Stufe der Familienentlastung finanziert er höchst findig: Er streicht Alleinerziehenden den Haushaltsfreibetrag. Den Familien nehmen, um den Familien zu geben.
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