■ Heute entscheidet der Bundestag über das Berliner Holocaust-Mahnmal. Ein Plädoyer für eine Kombination von Kunst und Lernen: Ohne Einfühlung gibt es kein Verstehen
Pädagogen haben in Deutschland keinen guten Ruf. Wenn sich die Folgen gesellschaftlicher Fehlentwicklung zeigen, erinnert sei nur an das Schlagwort „Gewalt an unseren Schulen“, werden sie verantwortlich gemacht. Und wenn deutsche Schüler unbefriedigende Ergebnisse bei internationalen Wettbewerben erzielen, sind die Pädagogen schuld – und nicht das mangelhaft ausgestattete Bildungssystem.
Eine neue Variante der Geringschätzung des Pädagogischen war im Verlauf der Debatte um das in Berlin zu errichtende Holocaust-Mahnmal zu beobachten – genauer gesagt, beim Versuch des Staatsministers Michael Naumann, Peter Eisenmans Stelenfeld, eine symbolische Form des Gedenkens, mit einer praktischen Annäherung in Form eines Museums oder einer Bibliothek zu ergänzen.
Frappierend war der Gleichklang der Medien bei diesem Thema: „Die praktische Paketlösung eines Mahnmals mit erhöhten Pädagogikanteilen“ spöttelte die taz, „Infotainment“, klagte die FAZ, man brauche eine „Schutzzone des Nichtdidaktischen“, einen Versuch „ohne die Tröstungen der Pädagogik und die Freuden der Animation“.
Warum diese einhellige Abwehr eines auch pädagogischen Anspruchs an ein solches Mahnmal? Wir wollen an dieser Stelle nicht näher eingehen auf eventuell unbewältigte eigene schulische Erfahrungen, ohne die die Heftigkeit mancher Reaktionen auf das Reizwort „Pädagogik“ nicht erklärbar scheint. Wir vernachlässigen auch die eindeutig politischen Reflexe gegen jegliche Intervention eines rot-grünen Staatsministers und wenden uns den ernsthafteren Vertretern einer „Anti-Pädagogik“ im Zusammenhang mit dem Mahnmal zu.
Da gibt es die Forderung nach „zweckfreiem“ Gedenken, das den Wunsch nach „politischen Lehren“ als unangemessene Funktionalisierung ablehnt. Eine sehr akademische Position, denn Gedenken ist niemals zweckfrei: Wenn wir an einem Holocaust-Mahnmal der jüdischen Opfer gedenken, so tun wir das, weil wir ihnen postum etwas von der Würde wiedergeben wollen, die ihnen zu Lebzeiten genommen wurde. Wenn wir Schüler und Schülerinnen an ein solches Mahnmal führen, möchten wir in ihnen Empathie für die Opfer wekken, möchten aber auch die Erinnerung an den Holocaust wachhalten. Davon ist die Erkenntnis nicht zu trennen, daß sich Derartiges nie mehr ereignen darf.
Wieso sollte es eine Profanisierung des Gedenkens sein, wenn man es mit Wissen verknüpft? Wenn man dem Unverständlichen, dem Unfaßbaren sich nicht nur symbolisch nähert, sondern ihm Geschichte(n) zur Seite stellt, auch Bilder, sei es in der Form eines Museums oder des Materials der Shoah Foundation?
Andere Ablehnungen des Naumann-Vorschlages speisten sich weniger aus Überlegungen zum Sinn des Gedenkens. Hier dominieren die Kriterien der „ästhetischen Vernunft“ (FR), und Äußerungen der Art, daß das Mahnmal „ohne jede Zugabe (sein muß). Solitär und klar“ (FAZ).
Hier tritt das Gedenken in den Hintergrund, Ästhetik droht zur Arroganz zu werden. Die verwendete Terminologie spricht Bände: „Solitär und klar“. So beschreibt man einen Edelstein, der strahlen soll, ein Schmuckstück, das seiner Trägerin zu Ansehen verhilft.
Im Widerspruch dazu steht ein Prädikat, das den kunstsinnig-feuilletonistischen Diskurs wie ein legitimatorisch nachgeschobener Anspruch durchzieht: Das Mahnmal solle „aufstörend“ (gelegentlich auch „verstörend“) wirken. So soll auch ein rein symbolisches, artifizielles Mahnmal Betroffenheit erzeugen – auch das hat übrigens etwas Pädagogisches. Auch hier soll ein Zweck erreicht werden, das „Verstörtsein“ – allerdings ohne Stütze, ohne Geländer.
So lehnen die drei jungen Männer, deren Wünsche an das Mahnmal vor einiger Zeit in der taz zu lesen waren, es ab, wie eine Schulklasse herumgeführt zu werden. Das ist ihr gutes Recht. Niemand wird gezwungen, den musealen Teil des Mahnmals in Anspruch zu nehmen. Allerdings haben nicht alle, die heute oder in 30 Jahren diesen Ort besuchen werden, vergleichbare Biographien: Alle drei beschäftigen sich, privat oder wissenschaftlich, mit der Erinnerung an die Shoah.
Mag sein, daß bei manchen Eisenmans Stelenfeld „verstörend“ wirkt. Aber auch hier setzt die Verstörtheit historisches Wissen voraus; ein Wissen, das bei den Teilnehmern der aktuellen Debatte selbstverständlicher Teil ihrer (Kultur-)Geschichte ist. Standardwissen ist es allerdings nicht.
Dabei denken wir in erster Linie gar nicht an jene Touristen, die, sei es ratlos, sei es verstört, das Holocaust-Mahnmal als eine unter vielen rätselhaften Sehenswürdigkeiten abhaken könnten. Unser Blick muß sich auf die Jugend richten, den vielleicht wichtigsten Adressaten eines solchen Mahnmals. Diese Jugend hat nicht mehr den Anspruch, die Vergangenheit radikal zu durchleuchten, um, wie ein Teil ihrer Elterngeneration, die 68er, die Ursachen und die Schuldigen des Nationalsozialismus zu finden. Für sie ist der Holocaust ein Stück Geschichte.
Für die Art der Konfrontation Jugendlicher mit dieser Erinnerung gibt es kein Rezept, aber es gab Rückschläge und positive Erfahrungen, aus denen man lernen kann. So erschien der engagierten Lehrerschaft zu Beginn der 70er Jahre rationale Aufklärung über sozioökonomische und sozialpsychologische Bedingungen des Faschismus, gepaart mit dem Versuch, emotionale Betroffenheit zu erzeugen, als Königsweg. Ein zwiespältiges Unterfangen. „Nacht und Nebel“, einer der an den Schulen am häufigsten gezeigten Filme, rief damals sehr unterschiedliche Reaktionen hervor, von Erschütterung bis zu völliger Abwehr. Trial and error ist wohl eine passende Beschreibung für die ersten Versuche, sich nach der bleiernen Zeit der Adenauer-Ära dem Thema Holocaust im Unterricht zu nähern.
Heute profitieren Pädagogen von einer intensiven internationalen Forschungsarbeit zum Holocaust. Die Notwendigkeit der Förderung von Empathie schon im Kindesalter als Voraussetzung für späteres ethisches und moralisches Verhalten ist eine der richtungsweisenden Erkenntnisse vor allem der US-Holocaustforschung. Ohne diese Empathie lassen sich gerade die neuen Konfliktlinien der Geschichtsvermittlung kaum bewältigen. Die deutschen Lehrerinnen und Lehrer können, angesichts einer multinational zusammengesetzten Klasse, die typische Frage „Was geht mich das an?“ nicht mehr nur intergenerativ (etwa auf die eigenen Urgroßeltern bezogen) verstehen, sie müssen sie auch interkulturell (Was habe ich als Türkin oder als Bosnier mit eurer Geschichte zu tun?) begreifen. In diesem Prozeß ist Einfühlung das Schlüsselwort, unabhängig von nationaler oder ethnischer Herkunft, denn „ein Mensch kann im Prinzip einen Menschen verstehen“ (Hannah Arendt).
Zu dem Einwand, das Mahnmal könne nicht mit den gesamten Ansprüchen und Versäumnissen der „Erziehung nach Auschwitz“ überfrachtet werden, es gebe bereits Gedenkstätten, deren Auftrag eindeutig pädagogisch definiert sei, nur soviel: Ein Objekt wie das geplante, das im Zentrum der Hauptstadt Berlin entstehen soll, wird, ob dies wünschenswert ist oder nicht, zum bevorzugten Ort von Mahnmal- und Gedenkstättenbesuchern werden.
Das mit einem Museum ergänzte Stelenfeld, für das der Bundestag heute vielleicht votieren wird, birgt die Gefahr einer Zentralisierung des Gedenkens und damit einer Entwertung der Arbeit anderer Gedenkstätten. Das sind berechtigte Befürchtungen. Gerade weil solche Fehlentwickungen auf der Hand liegen, können sie bei umsichtiger Planung vermieden werden.
Wesentlicher scheint uns, daß ein solches Mahnmal, das ein Bekenntnis aller Deutschen zu einem „Auschwitz darf nie wieder sein“ symbolisieren soll, zu lange Gegenstand einer überwiegend elitär-zirkulären Debatte war, deren Protagonisten, überwiegend Feuilletonchefs, Kunstkritiker und andere Kulturschaffende, nicht müde werden, sich gegenseitig zu bescheinigen, auf welch hohem Niveau man zehn Jahre lang diskutiert habe. Mehrmals wurde im Zusammenhang mit dem Mahnmal auch von einem „notwendigen Selbstfindungsprozeß der neuen Berliner Republik“ gesprochen. Möge dieser Prozeß etwas mehr an republikanisch-egalitärem Geiste ausstrahlen als an altbekannt-elitärem. Ingrid Apel, Daniel Cohn-Bendit
Pädagogik ist für viele ein Reizwort. Aber warum schadet eigentlich Wissen? Der Debatte wäre mehr republikanisch-egalitärer Geist zu wünschen gewesen
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