: CSD –99: Wir bleiben in Bewegung
■ Über Fortschritte, Rückschritte und andere Formen der schwulesbischen Bewegung
Nach 30 Jahren CSD stellt der fünfte seiner Art in Oldenburg fest, daß „wir in Bewegung bleiben“. Das ist schön, denn wer will schließlich schon Stillstand? Es stellt sich nur schnell die Frage: Wer ist denn da „wir“ und welcher Art ist die „Bewegung“? Das „wir“ ist natürlich klar: „Die“ Lesben und Schwulen und Bi-, Trans- und sonstwie -sexuellen halt. „Die“ eben, die in ihrer breiten Vielfalt und Masse gerade am CSD für die heterosexuelle Mehrheit sichtbar werden. Und in „Bewegung“ sind sie allemal: Zu Fuß oder per Wagen auf der Parade. Bei einer weitergehenden Deutung von Bewegung wird es schon schwieriger: Gibt es die (noch)? Oder handelt es sich nur um einen Verbund mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Schwul, lesbisch, stolz? Organisiert jedenfalls wurde und wird der CSD NordWest in Oldenburg von einem eigens dafür gegründeten Verein, in dem jede und jeder mitwirken kann. Für Vielfalt sollte also gesorgt sein. Ob aber gerade diese Zusammensetzung mit diesem Motto die „vitale Frische der Bewegung symbolisiert“, bleibt fraglich. Sicher: die CSDs werden von Jahr zu Jahr aufwendiger, was TeilnehmerInnenzahl, Styling und Technikeinsatz betrifft. Aber werden sie auch politisch bedeutsamer? Im letzten Jahr mußte man in Oldenburg nach der Parade aus der Stadtmitte ausweichen; der Schloßplatz wurde für ein Beachvolleyballturnier benötigt! In diesem Jahr zieht man sich freiwillig an die Hafenpromenade zurück, dort ist's doch auch nett! Auch sonst möchte man keinen Anstoß erregen, sorgt für viele, viele OrdnerInnen und freut sich, da sich „die Polizei jedes Jahr über die bunte Parade freut, die gute Zusammenarbeit und die freundliche Atmosphäre lobt“. Hatte nicht überhaupt 1969 in der Christopher Street alles mit der Polizei und atmosphärischen Störungen angefangen? Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich ist es besser, sich nicht zu schlagen für seine Lebensweise. Trotzdem: Schmusekurse mit der Staatsgewalt sind nicht jedermanns und -fraus Sache. Deutlich daran wird: die CSDs zur Jahrtausendwende stehen nicht mehr für ein lautes, aggressives Aufbegehren gegen staatliche Repression. Sie sind zu Mega-Events mutiert, zu einem zweiten Karneval. Das ist an sich gar nicht schlimm, feiern macht schließlich Spaß, und das dürfen die stinknormalen Heteros ruhig merken. Andererseits wird aber der Spagat zwischen einer schwulesbischen Loveparade und einer politischen Großveranstaltung immer schiefer ausfallen. Gerade durch die immer perfekter, aufwendiger und teurer organisierten CSDs stellen die Lesben und Schwulen doch unter Beweis, wie sehr sie in der bürgerlichen Welt angekommen sind und sich in ihr zu bewegen verstehen. Auch wenn es politisch noch dieses und jenes zu erreichen gibt, wird es spürbar: ewig höher, weiter, schneller wird es nicht gehen, allenfalls mit der Kommerzialisierung. Weitaus wichtiger wird es werden, erreichte Aufklärung und Akzeptanz zu etablieren und zu standardisieren, z.B. verbindliche Lehrpläne umzusetzen – inklusive Unterricht über homosexuelle Lebensweisen. Vielleicht gelingt es, sich zum nächsten CSD in diese Richtung Gedanken zu machen und weniger auf die Würdigung durch altvordere Politik zu schielen.
Christian von Manikowsky
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen