„Er hat sich ein Jahr geschenkt“

■  Das Aufstrahlen der Lebenslust im Angesicht des Todes: Ein Gespräch mit dem Schauspieler und Regisseur Peter Kern, der ein Filmporträt über den verstorbenen Hamburger Schriftsteller und Drehbuchautor Hans Eppendorfer gedreht hat – „Suche nach Leben“

Der Schauspieler und Filmemacher Peter Kern gehört seit Erfolgen unter Fassbinder, Schroeter und Wenders zu den Ausnahmeerscheinungen im deutschen Film: ein voluminöser Mensch mit Humor und außergewöhnlicher Präsenz. Seine Hommage an den Freund Hans Eppendorfer entstand gewissermaßen in letzter Minute. Im Januar verstarb der 56jährige Schriftsteller und Journalist an Krebs.

1977 erschien Eppendorfers „Der Ledermann spricht mit Hubert Fichte“, in dem er von seiner unglücklichen Kindheit berichtete, der Suche nach Anerkennung und schließlich dem Tag, da er den Haß auf seine Mutter an einer ihm eigentlich freundlich gesinnten Frau entlädt. Der 17jährige erschlägt sie mit einer Vase und wird zu mehrjähriger Haft verurteilt. Eppendorfers folgende Veröffentlichungen bewegen sich stets auf dem Grat zwischen Reportage und Literatur. Zuletzt betätigte er sich verstärkt als Drehbuchautor, etwa für Dieter Wedels Fernseh-Epos „Der König von St. Pauli“.

taz: Wie lange kannten Sie Hans Eppendorfer?

Peter Kern: Ich kenne ihn seit seiner Zeit als Chefredakteur der Zeitschrift Him in den späten 70er Jahren. Damals gab's eine Tratschkolumne, die von einer mysteriösen Paula geschrieben wurde. Darin wurden die ganzen Intrigen der Fassbinder-Clique ausgeplaudert. Ich rief Eppendorfer an, um zu erfahren, wer denn das Klatschmaul war, aber er hat es nicht verraten. Später kam heraus, es war der Schauspieler Peter Chatel.

Die Freundschaft hat sich mit den Jahren intensiviert, und ich wurde zunehmend ein Bewunderer seiner Kunst.

In Ihrem Film stehen Interviewpassagen, dokumentarische Sequenzen und ironische bis groteske Spielszenen nebeneinander. Hat Eppendorfer an diesem Konzept mitgearbeitet?

Silvester 1997/98 feierten wir mit etwa 30 anderen Gästen, und ich hatte meine DVD-Kamera dabei und filmte für mich das Fest. Mehr und mehr fokussierte sich mein Blick auf das Gesicht des schon todkranken Eppendorfer. Es waren diese Trauer und Verzweiflung in seinem Gesicht und das Funkeln der Lebenslust in seinen Augen, was mich faszinierte. Irgendwann sagte ich spontan: Ich mache einen Film über dich. Ich habe ihm aber gleich gesagt: „Das wird mein Film“, und der sollte mein ganz privater Blick auf diesen Menschen werden. Ich verriet ihm nichts von meinem Konzept. Er vertraute mir, und ich überraschte ihn jeden Tag aufs neue.

Wie kamen Sie auf die Idee, den Prozeß zu Eppendorfers Mord von Kindern nachstellen zu lassen?

Es gibt nicht nur Kinder, sondern auch Hunde in diesem Gerichtssaal. Das Gesetz wird durch Penner vertreten, die wir auf den Straßen in Berlin aufgelesen haben. Ich wollte die Gerichtsbarkeit als etwas Reines, Direktes, Wahrhaftiges darstellen. Rein, naiv und wahrhaftig, wie es Kinder sind.

Bei den wenigen Malen, die ich Eppendorfer begegnet bin, erlebte ich ihn als einen höchst selbstbewußten Menschen, der zur Selbstüberschätzung neigte, unempfänglich für Kritik und im Gespräch überaus dominant. Das war die Schutzhaltung eines Menschen, der in seinem Leben zu viel Prügel bezogen hat. Er nervte auch mich mit seinem ständigen Reden über seine Erfolge und seine Reisen. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß dies eine Art Schutz für ihn war. Angriffe gegen sich, seine Person, seine Arbeit hat er einfach nicht zugelassen und sich auch nie damit auseinandergesetzt. Er hat weder seine Arbeit noch seine Person jemals in Frage gestellt.

Wie hat er sich in seinem Charakter mit der Krankheit verändert?

Er wurde nicht gerade süchtig nach Kritik, er war aber auch zu schwach, um sich zu verteidigen. Durch das Drehen dieses Films hat er sich selbst noch ein weiteres Jahr seines Lebens geschenkt. Die Ärzte hatten ihn schon viel früher abgeschrieben. Er hat sich mit den Dreharbeiten viel abverlangt, aber er hat es auf sich genommen.

Sie lassen Josef Bierbichler den Totengräber in einem offenen Grab aus „Hamlet“ rezitieren, Trudeliese Schmidt singt Monteverdi in einem leeren Theater, Eppendorfer spielt sich als Sterbenden in einem Kairoer Straßencafé – kann man dem bevorstehenden Tod nur mit Operettendramatik und Groteske begegnen?

Alle Szenen, die Sie da aufzählen, sind keineswegs Szenen, die zum Tode führen, sondern ins Leben. Sie erzählen von der Lust am Leben – am Rande des Todes.

Interview: Axel Schock

Berlin-Premiere Samstag, 26. Juni, 19.30 Uhr im Filmkunsthaus Babylon in Anwesenheit von Peter Kern und Mitwirkenden. Weitere Vorstellung Mittwoch, 30. Juni, 20 Uhr.