piwik no script img

Museum mit der Maus

■ Das Berliner Werkbundarchiv im Gropius-Bau präsentiert sich mit „ware schönheit“ und neuem Konzept als „museum der dinge“

Ganz leicht sind die neuen Treppen auch nicht zu finden. Aber immer noch besser, als sich wie früher stets im falschen, nämlich im Angestelltenfahrstuhl zu wähnen. Wer aber die Rotunde im ersten Stock des Martin-Gropius-Baus hinter sich läßt, den Ausstellungsbereich quasi schon verlassen hat und die zwei in Art deco gehaltenen Aufgänge entdeckt, wird oben belohnt: Der Raum über der Rotunde fungiert als überaus geschmackvolles Entree zum wiedereröffneten Werkbundarchiv.

Nach dreizehn Jahren Provisorium in den entlegenen Korridoren und Unterrichtsräumen der früheren Werkkunstschule hat das Werkbundarchiv doch noch seinen adäquaten Auftritt bekommen: Wände wurden entfernt, die Ausstellungsfläche des Jüdischen Museums wurde hinzugewonnen, der Däne Olav Christopher Jenssen schuf ein souverän mit den räumlichen Gegebenheiten spielendes Wandbild – alles ist neu. Sogar der Name. Denn seit dem Umbau des Martin-Gropius-Baus heißt das Werkbundarchiv nun „museum der dinge“. Das klingt nach „Sendung mit der Maus“, und spielerisch präsentiert sich das Museum auch in seiner ersten Ausstellung.

Nicht mehr ein „Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts“ mag man sein, in dem das Industrieprodukt museale Ehrung findet, sondern ein Ort angewandter Zeichenlehre. „Wir wollen wissen“, so Museumsleiterin Angelika Thiekötter, „was die Dinge kommunizieren. Was passiert im Museum, wenn der Fön nicht mehr fönt?“ Singt er ein anderes Lied? Eben.

„ware schönheit“, die Eröffnungsausstellung, untersucht in acht Stationen die Sache als Ware, als gestaltetes Produkt. Und das verblüffend sinnlich und auf unterschiedlich hohem Abstraktionsniveau. Einer der Räume etwa steht unter dem Motto „bemustern“. Hier hängt ein großer weißer Würfel, auf den immer wieder andere Dekore aus Musterbüchern und Vorlagewerken des 19. Jahrhunderts projiziert werden: Ein Produkt sucht sein Gesicht. Ein anderer Raum ist mit „entzeichnen“ überschrieben. In seiner unteren Hälfte stehen grausliche Möbel aus einer Borsig-Villa, die vor Schnitzwerk zu ächzen scheinen. Aus Lautsprechern dröhnen Kreissägen und Stimmen, die das Ornament verdammen. Geht man eine Treppe hinauf, kann man tief hinunterblicken auf eine Sammlung von Musterkoffern, die der Werkbund in den sechziger Jahren zur Propagierung der „Guten Form“ für den Schulunterricht zusammenstellte, Schatztruhen der volksbildenden Moderne. Am originellsten und einleuchtendsten aber erhellt der Raum „codieren“ das neue Ausstellungskonzept. Wer ihn betritt, sieht zunächst nur mit seltsamen Namen beschriftete Vitrinenrückwände. „Cleopatra“ steht hier etwa zu lesen, „Queen Anne“ oder „Königin von Saba“. Auf der Schauseite sind sie dann zu sehen, all die Waren mit diesen verheißungsvollen Namen: eine Rasierklinge, ein Whiskykrug, eine Zigarette. So entstehen Produktgruppen, die nichts verbindet als das Image. Ob die Idee sinnvoll ist, auf einen Ausstellungskatalog traditioneller Art zu verzichten und statt dessen eine sogenannte Museumskiste mit Spielkarten zu den Exponaten anzubieten, muß sich allerdings erst erweisen. Von Ausstellung zu Ausstellung soll so ein Bestandskatalog entstehen; aber ein wenig kann einen schon heute das Grauen packen vor dem Chaos herumfliegender Karten. Wahrscheinlich ist auch das wieder beabsichtigt. Das Spielen mit den Karten jedenfalls ist ein intellektuelles Vergnügen. Dafür sorgen schon allein die überaus süffisanten Kommentare auf der Rückseite.

Selbst auf privatwirtschaftlichem Sektor geht das Museum neue, sehr verschmitzte Wege. Im Rotundenraum finden sich nicht nur die bereits erprobten, mit Wundertüten gefüllten Münzautomaten (Einsatz 5 Mark), sondern auch ein Museumsshop, in dem der Kunde „unverzüglich die im museum der dinge erworbene Kompetenz im befreiten Umgang mit den Dingen erproben kann“. Hier gibt es makellos verpackte Waren wie die „Bittere Schokolade“ der Berliner Firma Erich Hamann für 3,40 Mark die Tafel. Oder Parfums: wahlweise Harry Lehmanns „Parfum nach Gewicht“ ab 9,50 Mark oder aber „Red Velvet“ von Comme des Garçons für 230 Mark das 50-ml-Fläschchen. Faites vos jeux!

Reinhard Krause

„ware schönheit“, museum der dinge im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Di.-So. 10-20 Uhr, bis 3. Oktober; der Eintritt ist frei, die Museumskiste kostet 48 Mark

„Was kommunzieren die Dinge? Was passiert im Museum, wenn der Fön nicht mehr fönt?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen