Nach dem Blob das Waterloo

■  Auf dem „CSD Color“, der Kreuzberger Gegenveranstaltung zum Christopher Street Day, wusch die Lokalliga der Transen im Farbechtheits-Waschcontest rotes Blut aus grünen Bettlaken. Doch schwule Stereotype fehlten auch am Heinrichplatz nicht

Es gibt immer weniger Unterschiede zwischen der Love Parade und dem CSD, der sich als regenbogenfarbener Blob durch den Tiergarten quält. Pünktlich zum Jahrestag der Beerdigung von Judy Garland verwandelt sich die Straße des 17. Juni in eine Sesamstraße der Toleranz. Sattelschlepper, 10.000-Watt-Verstärker und „I believe“ von Cher gehören ebenso zur Grundausstattung homosexueller Lobotomie wie rauhe Mengen von Drogen und Suff, die helfen, diesen kollektiven Freudenausbruch über die eigene Sexualität zu ertragen.

„CSD-Color“, das ist kein Farbwaschmittel, sondern der Kreuzberger CSD, den das SO 36 jetzt zum zweiten Mal im Anschluß ans Mainstream-Event auf dem Heinrichplatz veranstaltete. Die Oranienstraße ist nicht die Sesamstraße. Das „Sub Opus 36“, das seit Jahren mit Veranstaltungen wie dem türkisch-schwulen „Salon Oriental“ oder „Kanakatak“ minderheitenübergreifend arbeitet, hatte mit Zusatzforderungen wie nach der Abschaffung verdachtsunabhängiger Kontrollen und Platzverweisen der Polizei sowie der Auflösung von Nato und Bundeswehr keine Mühe, ein Heimspiel zu gewinnen.

Unterstützt wurde es dabei von etwa 3.000 Teilnehmern und von der lokalen Liga der Transenstars: Fatma, Elvira Westwärts, Gloria Viagra und Renate Wanda de la Gosse. Als Schwestern der Revolution demonstrierten die Girls auf der Bühne des Demowagens Problembewußtsein, wuschen im Farbechtheits-Waschcontest rotes Blut aus grünen Bettlaken, schruppten zu den Klängen von „Car Wash“ Bullenwagen und Panzer, bis ihnen der Schweiß aus der Perücke lief.

Es gibt verschiedene Waschmittel. Manche funktionieren nach dem Baukastenprinzip, andere arbeiten mit Bleiche, aber letztendlich zählt nur das Waschergebnis. Wer dem Blob unter der Goldelse ohne Gehirnschaden entkommen konnte, fand hier sein Waterloo. Wenn schwuler Bauchtanz und die lieblos zusammengehaltenen Trümmer politischen Kabaretts schwules Bewußtsein politisieren sollen, warum tanzen wir dann nicht gleich Schuhplattler? „I will survive“ bleibt „I will survive“, auch wenn es in türkischer Sprache gesungen wird.

Nicht nur die alten und die neuen Nazis sind der Gegner, sondern auch die Simplifizierungen unserer Spaßgesellschaft, deren Pioniere die Schwulen sind, die als erste eine konsumorientierte, sexistische und flache Lebensweise als sinnstiftend akzeptiert haben. Es ist unmöglich, komplexe Dinge über schwule Identitäten zu führen oder eine Vernetzung von Minderheiten anzustreben, ohne sich von schwulen Stereotypen zu lösen. Dazu gehören Massenaufmärsche wie der CSD ebenso wie das politisch korrekte Drag-Queen-Kabarett aus Kreuzberg. Der erste Schritt dazu ist ein Akt des Willens und - um mit der schwarzen Lesbe, Feministin und Bürgerrechtlerin Aurde Lourde zu sprechen - „Er liegt bei dir.“

Oliver Koerner von Gustorf