: Schwul, schrill und viel Sekt
Manche sagen Love Parade, andere Karneval der Kulturen, am Samstag hieß es Christopher Street Day. Und ob nun homo oder hetero, gefeiert wird jedenfalls ■ Von Karsten Thielker (Fotos)
Es war der Abend des 27. Juni 1969, als das Unglaubliche geschah: Eine Flasche fliegt, Fäuste prasseln– etwa 500 Menschen wehren sich gegen eine brutale Polizeirazzia im „Stonewall Inn“, einer kleinen Bar in der New Yorker Christopher Street, in der Schwule, Tunten, Lesben, Stricher und Transen verkehren. Seit nunmehr 30 Jahren wird sie gefeiert, die Geburtsstunde der Homosexuellenbewegung.
350.000 Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Inter- und Heterosexuelle nahmen am Samstag im Gedenken an „30 Jahre Stonewall – Freiheit wird täglich erkämpft!“ am Berliner Christopher Street Day teil. Unter Trommelwirbeln wurde auf dem Kurfürstendamm um 11 Uhr die Regenbogenflagge, Symbol der Homosexuellen, durchschnitten und der bunte Umzug in Bewegung gesetzt. 76 schillernd dekorierte Wagen kämpfen sich schleichend mit wummernder Musik über die Straße des 17. Juni, durch das Brandenburger Tor bis hin zum Bebelplatz in Mitte. Ein bißchen Love Parade, ein bißchen Karneval der Kulturen und sehr viel Sekt.
„Das ist jedesmal wie Weihnachten“, meint ein junger Typ mit viel zu kurzem Minirock und roter Perücke, „durch Berlin ziehen, sich in den Armen liegen und tanzen.“ Michaela Lindner, Mann-zu-Frau-Transsexuelle und ehemals Bürgermeister von Quellendorf, sagt in ihrer Eröffnungsrede, „daß die riesige CSD-Parade den Eindruck vermittle, so eine Lebensform sei nur in der Stadt möglich“. Die Frau vom Dorf fordert deshalb gleiche Rechte für Homos auf dem Land. Das war es dann aber auch schon fast mit der Politik. Bündnis 90/Die Grünen inklusive Spitzenkandidatin Renate Künast, ermutigte die queeren Menschen mit „Traut Euch“ zum Kampf um gleich viel Recht für gleiche Liebe. Der Lesbisch-Schwule Verband Deutschlands (LSVD) ließ symbolisch ein Lesben- und Schwulenpärchen in einer Hochzeitskutsche mitfahren. „Mag ja sein, daß die Parade an sich nur ein großes Fest ist“, sagt da eine grell-geschminkte Latexdame, „wenn ich mich jedoch in meinem Outfit im tiefsten Neukölln in die U-Bahn setze, dann ist das hochpolitisch.“ Katrin Cholotta
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