Freie Wohlfahrtsverbände im Eichel-Schock

Das Familienministerium will 660 Millionen Mark beim Zivildienst sparen. Stellenabbau und Dienstzeitverkürzung sind die Folge. Die Wohlfahrtsverbände rechnen mit „stillen menschlichen Katastrophen“  ■   Von Georg Gruber

Berlin (taz) – „Alle klagen über den Rotstift, wir freuen uns.“ Jahrelang hat Ulrich Finckh für eine Gleichbehandlung von Wehrdienst- und Zivildienstleistenden gekämpft. Der Vorsitzende der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer hat es fast geschafft. Die rot-grüne Bundesregierung verkürzt den Ersatzdienst von 13 auf 11 Monate. Allerdings nicht, um endlich ein altes Wahlversprechen einzulösen. Nein, aus Geldmangel.

Was Ulrich Finckh freut, macht Ulrich Schneider ratlos. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands spricht vom „Eichel-Schock“. Rund 880 Millionen Mark muß das Familienministerium sparen, um die Vorgaben des Finanzministers zu erfüllen. Gestutzt wird vor allem der Etat für den Zivildienst – um 660 Millionen Mark.

Die sozialen Einrichtungen fürchten um ihre billigen Arbeitskräfte. Denn: bis zum Jahr 2003 wird die Zahl der Zivildienstleistenden in zwei Schritten von derzeit etwa 140.000 auf 110.000 gesenkt. Die Dauer des Zivildienstes wird schon im nächsten Jahr verkürzt. Außerdem müssen Einrichtungen, die Zivildienstleistende beschäftigen, einen größeren Teil der Personalkosten selbst übernehmen.

Beate Moser, die Sprecherin des Familienministeriums betont, die geplanten Einsparungen seien „sozial ausgewogen“. Der pflegerische Bereich bleibe unangetastet. Die Stellen sollten bei handwerklichen Tätigkeiten oder in der Verwaltung gestrichen werden.

Weniger Zivildienstleistende, die kürzer zur Verfügung stehen und noch dazu teurer sind – keine angenehme Vorstellung für die freien Wohlfahrtsverbände. Das Wort „Pflegenotstand“ wird vermieden. Denn – theoretisch – dürfen die Zivildienstleistenden nicht so eingesetzt werden, daß sie Fachkräften die Arbeit wegnehmen.

Eine Dienstzeit von weniger als 12 Monaten sei äußerst problematisch, heißt es unisono von seiten des Deutschen Caritasverbands und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Zusammen beschäftigen sie über 45.000 Zivildienstleistende: in der Altenpflege, der Schwerstbehindertenbetreuung, als Pfleger in Krankenhäusern, als Hausmeister, als Fahrer oder Gärtner. Bei einer so kurzen Dienstzeit lohne sich oft die Einarbeitung kaum mehr, erklärt Caritas-Sprecher Thomas Broch.

Die Verbände sehen zudem Engpässe und Ausfallzeiten voraus, die nicht überbrückt werden könnten, da ein Großteil der Zivis ihren Dienst zur selben Zeit, nach dem Abitur, antritt. Die Qualität der Pflege werde unter den Sparplänen leiden. „Stille menschliche Katastrophen“ befürchtet Ulrich Schneider. Denn Zivildienstleistende sind nicht nur billig, sondern in der Regel auch motiviert, und sie können sich mehr Zeit nehmen für die Patienten als das reguläre Pflegepersonal.

Gelder, um zusätzliche Kräfte für fehlende Ersatzdienstleistende einzustellen, seien sowieso nicht vorhanden, klagen die Wohlfahrtsverbände. Ob die gesamte soziale Angebotspalette aufrechterhalten werden kann, ist offen. Ulrich Schneider warnt, daß beispielsweise die mobilen sozialen Hilfsdienste und die Betreuung von Schwerstbehinderten eingeschränkt werden müßten, „wenn nicht Kommunen, Pflegekassen oder Sozialhilfeträger die entstehenden Mehrkosten übernehmen“.

Ulrich Finckh fordert derweil die völlige Gleichstellung der Zivildienstleistenden mit den Wehrpflichtigen an der Waffe, also eine Verkürzung der Zivildienstzeit auf 10 Monate. Das Argument, Soldaten hätten durch Reserveübungen eine größere Belastung, läßt er nur eingeschränkt gelten. Man könne ja den Zivildienst einen Tag länger machen. Das entspreche der durchschnittlichen Mehrbelastung eines normalen Wehrdienstleistenden.