: Rache von Vertriebenen, Raubzüge von Kriminellen
■ In vielen Orten des Kosovo leben Serben und Roma in Furcht und Schrecken. Die KFOR-Truppen schützen sie nicht überall vor Brandstiftung und Plünderung
Schon von weitem sind die Rauchfahnen zu sehen, beim Näherkommen dann die Flammen, die aus den Dächern der Häuser schlagen. Es herrscht eine gespenstische Ruhe, die nur das Knacken des Holzes durchbricht.
Ein von Serben bewohnter Aussenbezirk der Stadt Peja (serbisch: Pec) wird abgefackelt. In einer Seitenstraße sind die Brandstifter. Sie stapeln Möbel und Küchengeräte, Werkzeuge und Fernseher auf dem Anhänger eines Traktors. Wenig entfernt sind zwei Autos zu sehen, die albanische Nummernschilder aus Kukäs haben.
Panzer der italienischen KFOR-Truppen fahren auf. Vier Soldaten gehen die Straße entlang. Sie sehen sich die Brände an, das ist alles. Auf den Hinweis der Journalisten, Brandstifter seien in der Nebenstraße am Werk, bequemen sie sich endlich, mit Waffen im Anschlag hinzugehen. Es geschieht aber nichts. Die Brandstifter dürfen mit ihrem Raub abziehen.
Die KFOR-Truppen stehen Gewehr bei Fuß und greifen nicht ein. Vor allem die italienischen Truppen haben sich einen schlechten Ruf erworben. Material und Mannschaften wurden viel zu spät in die Stadt gebracht. Einige rückkehrende Albaner, Kriminelle aus Albanien und auch fliehende Serben zünden die serbischen Häuser an, rauben Wohnungen aus, weil die Ordnungsmacht nicht funktioniert. Die meisten Serben haben die Stadt verlassen.
In Prizren brennen keine Häuser. Dort haben die deutschen KFOR-Truppen eine Notrufnummer eingerichtet, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Sobald Alarm geschlagen wird, rücken Soldaten an. Diebe werden verhaftet, rund 100 sitzen schon in dem von der KFOR eingerichteten Gefängnis. Ab Mitternacht ist eine Ausgangssperre verfügt. Die Lage hat sich mit diesen Maßnahmen zunehmend beruhigt. Und dies ist auch für die Minderheiten wichtig. Denn nicht nur die Serben müssen Racheakte kosovo-albanischer Rückkehrer fürchten, auch Roma, die mit den Serben während der Zeit des Terrors gegen die Albaner kollaboriert haben.
UÇK-Leute sind von ihren Kommandeuren angehalten, Racheakte zu verhindern. Manche UÇK-Soldaten handeln jedoch auf eigene Faust. In einem Vorort von Prizren mit einem hohen Anteil Roma-Bevölkerung patrouillieren UÇK-Leute, die unter dem Kommando des Kommandeurs Hodscha dienen. Auch deutsche Soldaten halten dort Wache. Viele Roma hatten nach dem Exodus der Albaner im März und April die umliegenden Häuser ausgeraubt. Die Rückkehrer verlangen jetzt ihren Besitz zurück. Manchmal kommt es zu einer gütlichen Einigung. Die Häuser der mit serbischen Truppen nach Serbien geflohenen Roma jedoch werden nun ihrerseits von den rückkehrenden Albanern begutachtet, Diebesgut zurückgeholt, Hausrat einfach entwendet.
Im Dorf Velika Hodscha leben noch 3.000 Serben. Die Enklave kann von den Bewohnern nicht verlassen werden. Sie müssen mit feindseligen Aktionen der albanischen Rückkehrer rechnen. In dieser Region wurden von serbischer Seite besonders viele Verbrechen begangen, Massengräber zeugen davon. Viele der Dorfbewohner waren Polizisten oder Paramilitärs. In Velika Hodscha stapelt sich zudem Diebesgut. An den KFOR-Straßensperren werden die Autos kontrolliert. Wer keine Papiere hat, muß sich registrieren lassen. Dabei wurde mehrmals festgestellt, daß viele der neuen Autos gestohlen waren.
In Kovoska-Mitrovica hat sich die mehrere tausend Menschen starke serbische Bevölkerung im Zentrum der Stadt eingeigelt, in ihre Wohnungen zurückkehrende Albaner werden bedroht. Die Stadt ist jetzt faktisch geteilt. Französische Soldaten stehen an der „Demarkationslinie“, haben bislang aber noch nichts unternommen, diesen Zustand zu beenden.
In Priština hatten die Serben bis vorgestern noch die Kontrolle über den Radio- und Fernsehsender. Der Fernsehsender wurde jedoch von Albanern besetzt. Kritisch bleibt die Lage um das Hotel Grand. Ehemals Staatseigentum, wurde es zuletzt von einer serbischen Firma bewirtschaftet, an der auch Milizenführer Arkan beteiligt sein soll. Die 1990 aus ihren Stellungen entfernten albanischen Mitarbeiter fordern nun Einlaß. Britische Soldaten schützen jedoch die serbischen Angestellten, die noch im Hotel sind.
Erich Rathfelder, Prishtina
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen