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Tödliche Nebenwirkungen von Aspirin

■ Die Nebenwirkungen eines der erfolgreichsten Medikamente sind kaum bekannt. Dabei sterben allein in den USA jedes Jahr über 16.000 Menschen durch Acetylsalicylsäure

Einhundert Jahre ist es her, daß Felix Hoffmann in den Bayer-Laboren erstmals Acetylsalicylsäure synthetisierte – der Siegeszug von Aspirin konnte beginnen. Doch erst vierzig Jahre später wurde die wichtigste Nebenwirkung des „Tausendsassas“ offenbar: Magenblutungen. Weitere Risiken, die von einem überhöhten Schmerzmittelgebrauch ausgehen, sind Nierenschäden und Magengeschwüre.

Nach einer jetzt veröffentlichten Untersuchung der Boston University School of Medicine sterben jährlich 16.500 Amerikaner an Magenblutungen, die durch Aspirin und ähnliche Schmerzmittel verursacht werden, in 170.000 Fällen kommt es zu schwerwiegenden Magenschäden. Somit gehören Aspirin-Nebenwirkungen zu den 15 häufigsten Todesarten in den USA, die Zahl der Todesfälle ist ebenso hoch wie die der Aids-Epidemie (16.685 HIV-Tote 1997). Jahr für Jahr müssen 100.000 Betroffene stationär behandelt werden, wobei Kosten von zwei Milliarden US-Dollar entstehen. Trotzdem geht der rezeptfreie Verkauf weiter – allein in den USA gehen jährlich 30 Milliarden Tabletten über die Ladentheken. Die im New England Journal of Medicine publizierte Untersuchung kritisiert, daß 75 Prozent aller Patienten die Nebenwirkungen des Schmerzmittels nicht kennen oder ignorieren.

Da aber die Zahl der Schmerzmittel-Opfer in Statistiken normalerweise nicht einzeln aufgeführt wird, werden die Gefahren kaum wahrgenommen. Die Autoren der Studie sprechen von einer „geräuschlosen Epidemie“. Acetylsalicylsäure wird von den Herstellern breit angepriesen: gegen Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs. Bücher wie Michael Castlemans „Jeden Tag ein Aspirin“ fördern den unsinnigen routinemäßigen Gebrauch und suggerieren, daß auch gesunde Menschen Acetylsalicylsäure regelmäßig einnehmen sollten.

Der Pharmariese Bayer, der jährlich 11 Milliarden Aspirin-Tabletten verkauft und dabei 850 Millionen Mark umsetzt, lobt Forschungspreise wie den „International Aspirin Award“ aus, um neue Anwendungsbereiche zu erschließen. Dieses Vorgehen verspricht Gewinne ohne Investitionsrisiko: Die Hersteller benötigen weder neue Produktionsanlagen noch aufwendige Zulassungsverfahren, und bestehende Vertriebswege können genutzt werden. Die zahlreichen Studien zu Acetylsalicylsäure müssen daher kritisch daraufhin untersucht werden, inwiefern sie lediglich gewinnversprechende (Schein-)Indikationen schaffen sollen. Die Ärzte haben es jedoch schwer, sich durch das Trommelfeuer der Werbung hindurch Gehör zu verschaffen: Bayer wirbt beispielsweise seit Jahren nicht nur für die Behandlung von Erkältungen mit Aspirin (obwohl sogar Antibiotika gegen Viren machtlos sind), sondern auch für ihre Prophylaxe. In einer Anzeigenserie für Aspirin im letzten Winter wälzten sich gar sexy Nackedeis im Schnee. Höhepunkt der Kampagne war die Verkleidung des Bayer-Hauptsitzes in eine gigantische Aspirin-Schachtel im Frühjahr. Zur Begrenzung der Risiken fordern Kritiker eine Rezeptpflicht für Aspirin, ein Verbot unsinniger Kombinationspräparate und umfassende Mortalitätsstudien auch in Deutschland.

Philipp Mimkes

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