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Nordirland vor einem blutigen Sommer

Kurz vor Ablauf der Frist zur Rettung des nordirischen Friedensprozesses wird die große protestantische Parade in Portadown am kommenden Sonntag verboten. Nun rufen Hardliner zum Kampf auf  ■   Aus Dublin Ralf Sotscheck

In Nordirland stehen die Zeichen auf Sturm. Die Parade des protestantischen Oranier-Ordens, die am kommenden Sonntag in Portadown durch die Garvaghy Road in einem katholischen Viertel führen sollte, wurde am Montag abend verboten – aber die Oranier wollen sie trotzdem abhalten.

Die zuständige Kommission sagte, der Orden habe sich nicht an das Urteil vom vergangenen Jahr gehalten, als die Parade ebenfalls verboten wurde. Statt gemeinsam mit den Anwohnern des katholischen Viertels eine Lösung zu suchen, habe der Orden jede Woche den Antrag gestellt, die Parade doch noch durchführen zu können. Mehr als 200mal hätten sie versucht, die Sperre an der Kirche von Drumcree am Rand der Garvaghy Road zu durchbrechen.

Die Pressekonferenz der Kommission mußte abgebrochen werden, weil eine Bombenwarnung der „Red Hand Defenders“, einer loyalistischen Splittergruppe, eingegangen war. Die Organisation erklärte am Montag abend, daß ab Mitternacht „alle Freiwilligen in Einsatzbereitschaft“ seien: „Wir warnen alle, die am Ausverkauf unseres Landes beteiligt sind. Sie werden die Folgen zu spüren bekommen, seien es die politischen oder die religiösen Führer.“

Die „Orange Volunteers“, eine andere Splittergruppe extremistischer Protestanten, schloß sich der Erklärung an. Beide Organisationen haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als hundert Häuser, die von Katholiken bewohnt waren, mit Rohrbomben angegriffen. In der Erklärung hieß es außerdem, die loyalistische Ulster Volunteer Force (UVF) solle sich davor hüten, „die legitimen Proteste zu unterdrücken oder zu kontrollieren“, andernfalls würden „beide Organisationen gewaltsam antworten“.

Darüber hinaus droht eine blutige Fehde zwischen der UVF und ihrer Absplitterung, der Loyalist Volunteer Force (LVF), um die Vorherrschaft. Beide sind zwar offiziell im Waffenstillstand, aber die UVF gab jetzt bekannt, daß sie mit der Rekrutierung und Ausbildung neuer Mitglieder begonnen habe.

Alistair Graham, der Vorsitzende der Paraden-Kommission, forderte die Oranier auf, ihre Proteste wegen der Parade in Portadown zu beenden. Doch der Orden setzt auf Konfrontation. Bis Ende Juli sollen 1.300 Paraden in Nordirland stattfinden, allein in Portadown sind für diesen Zeitraum 40 Märsche beantragt worden. Zudem ist die Parade vom 12. Juli, dem Nationalfeiertag nordirischer Protestanten, nach Portadown verlegt worden.

Ein Oranier-Marsch durch eine Parallelstraße der Garvaghy Road verlief am Montag ohne Zwischenfälle. Statt der erwarteten 6.000 Leute waren nur tausend gekommen. Doch mit der angekündigten Paradenschwemme wollen Nordirlands Oranier die Ordensbrüder in Drumcree unterstützen und möglichst viele Polizeikräfte binden. Die britische Armee hat deswegen 1.300 zusätzliche Soldaten nach Nordirland verlegt.

Denis Watson, Großmeister der Oranier-Loge von Portadown, sagte gestern: „Je schneller Alistair Graham und seine Kollegen ihre Koffer packen und das Land verlassen, desto besser. Tony Blair sollte die Paraden-Kommission ein für alle mal auflösen.“ Mark Robinson, ein Parteikollege des reaktionären Pfarrers Ian Paisley von der Democratic Unionist Party, rief „alle Unionisten und Oranier“ auf, am Sonntag an der Kirche von Drumcree zu erscheinen. Der Pfarrer von Drumcree, Reverend John Pickering, hat die Oranier für Sonntag ausdrücklich in seine Kirche eingeladen. Damit stellte er sich gegen eine Entscheidung der Generalsynode.

Nach dem Verbot der Parade ging es gestern bei den Verhandlungen im Belfaster Schloß Stormont, an denen die Premierminister Tony Blair und Bertie Ahern sowie Vertreter der nordirischen Parteien teilnahmen, darum, das Belfaster Karfreitagsabkommen von 1998 in letzter Minute zu retten. Blair hat den Parteien eine Frist bis heute um Mitternacht gesetzt, um die gewünschte Allparteienregierung für Nordirland zu bilden. Streitfrage ist noch immer die Entwaffnung der IRA, deren Beginn von den Unionisten als Vorbedingung für einen Regierungseintritt der Sinn Fein, politischer Flügel der IRA, gesehen wird. Blair und Ahern hoffen, daß ein für gestern angekündigter Bericht des kanadischen Generals John de Chastelain, der Nordirlands Abrüstungskommission leitet, hier einen Ausweg weist. Voraussetzung wäre, daß sich die paramilitärischen Verbände ihm gegenüber bereiterklären, ihre Waffen bis Mai 2000 abzugeben, wie es im Karfreitagsabkommen vorgesehen ist. Unionistenchef David Trimble, der designierte nordirische Premierminister, hat signalisiert, daß er eine solche Erklärung als „Beginn der Abrüstung“ akzeptieren und eine Regierung inklusive Sinn Fein bilden würde. Die anderen Mitglieder seines Parteivorstands betonten jedoch, daß es keine Regierung geben werde, solange die IRA keine Waffen herausrücke.

Die Hardliner haben durch einen Zwischenfall in der vergangenen Woche Auftrieb erhalten. Verkehrspolizisten in der Republik Irland stoppten einen völlig überladenen Wagen. Es stellte sich heraus, daß er Bierfässer voller hausgemachten Sprengstoffs enthielt. Die beiden Männer, die verhaftet wurden, gehören der IRA an.

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