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Im Wohnzimmer der neuen Mitte

Claudia Wahjudi verfolgt mit ihrer Textsammlung „Metroloops“ Lebensentwürfe in der Berliner Off-Kultur. Die alten Undergroundhelden sind müde geworden, die nachgewachsenen Kunst- und Clubprojekte der neunziger Jahre beuten sich selbst aus  ■   Von Harald Fricke

Jeder hatte seine neunziger Jahre. Für Wirtschaftsleute war es die Zeit von Globalisierung und Fusionen, Gen-Techniker werden sich an das geklonte Schaf Dolly erinnern, und den Engländern ist mit Lady Di ihre zukünftige Königin viel zu früh weggestorben. In Deutschland schaut man in Sachen jüngste Geschichte nach Berlin und träumt von einer Hauptstadt, in der sich irgendwann das Leben um die neue Mitte gruppieren soll. Für die einen ist diese Vision eher ein Alptraum, in dem Investoren und Bonner Beamte herumspuken, während die Restbevölkerung an den sozialen Rand abgedrängt wird. Volker Hassemer und seine Marketingtruppen von „Partner für Berlin“ freuen sich dagegen auf die Megaparty zur Silvesternacht 1999, weil im nächsten Millennium noch mehr Touristen, Raver und Dienstleistungsunternehmen nach Berlin kommen. Von hier aus gesehen waren die neunziger Jahre das Wartezimmer nach dem Vereinigungsglück.

Auch in Claudia Wahjudis Textband mit Essays und Reportagen aus der Berliner Kunst- und Clubszene scheinen die Protagonisten ständig zu warten. Galeristen hoffen auf Kundschaft, Künstler auf Projektgelder, die Betreiber vom Tacheles auf einen unbefristeten Mietvertrag. Aber auch für das Publikum, das Wahjudi in ihrem Buch über „Berliner Kulturentwürfe“ beschreibt, verläuft die Zeit zwischen Ausstellungseröffnung, Konzertbesuch, WG-Essen und Kneipenabsturz in Schleifen. „Metroloops“ trägt das Dilemma schon im Titel: Was tun, wenn der immer wieder herbeiphantasierte Ausnahmezustand Berliner Off-Kultur zum Alltag gerinnt und sich stets wiederholt? Wie können Extreme und die Mitte – als Stadtbezirk und Schröder-Utopie – überhaupt zueinander passen?

Tatsächlich sind sich die Lebenswege der diversen Macher, die das Buch versammelt, sehr ähnlich. Es gibt das abgebrochene Studium ebenso wie die zäh dahinfließenden Jahre vor der Doktorarbeit; es gibt 630-Mark-Jobs, Aushilfskellner und Geld von den Eltern; und es gibt allerlei Kollektive, die sich für ihre Ideen selbst ausbeuten, um am Ende eher illusionslos ins Mediengeschäft zu wechseln. Einige machen Karriere, die meisten machen bloß mit. Zehn Seiten lang erklärt ein gewisser Lars, wie er Schlingensiefs Chance 2000 für seine Fundraising-Aktion mit Balldahlien begeistern wollte – um schließlich zusehen zu müssen, wie die Chance-Partei ihre eigene Sonnenblumen-Kampagne startete. Umgekehrt zeigt Wahjudi am Beispiel WochenKlausur, daß auch Kunst im sozialen Kontext Gefahr läuft, als Puffer zwischen Staat und Gesellschaft zu dienen. Was von der Wiener Gruppe als Kontaktbörse für Kreuzberger Arbeitslose gedacht war, stand plötzlich in Konkurrenz zu anderen Initiativen.

Ansonsten ist Berlin mit reichlich Boheme bevölkert: Amsterdamer Industrial-Musiker treffen auf kanadische Kitsch-Fetischisten, und Rechtsanwälte betreiben eine Galerie im Hinterzimmer; bei loop wird über die Unbilden der Gentrification diskutiert, während der Kunstverein selbst auch nur eine leerstehende Immobilie mit Kultur aufwertet; und Dimitri Hegemann vom Tresor wünscht sich noch immer einen Technotower für Berlin. All diese Puzzlesteinchen fügen sich bei Wahjudi recht mühelos und doch zielstrebig zu einem Gruppenbild aus hauptsächlich Thirtysomethings zusammen. Man trinkt das gleiche Bier, hört die gleichen Elektronikbands und hat die gleichen Existenzängste – egal ob als Gelegenheits-DJ, als Internetaktivist oder als abgebrochene Literaturwissenschaftlerin.

Daß dabei an keiner neuen Generation X, Y oder Z gebastelt wird, die für die Berliner Republik in den Startlöchern steht, ist beruhigend. Zugleich hält sich „Metroloops“ mit soziologischen Behauptungen zurück – statt Debatten zu stemmen, setzt die Autorin auf die Überzeugungskraft dichter Beschreibung. Ohne das Regelwerk aus Begrifflichkeiten von „Optionsrahmen“, „losen Koppelungen“ und „Kontingenzen“ entsteht so ein Beziehungsgeflecht, das sich aus den Energien der Aktivisten speist. Vermutlich liegt es an der eigenen Biographie: Die 1965 geborene Wahjudi ist Redakteurin beim Stadtmagazin zitty mit Schwerpunkt Soziales und Stadtpolitik. Gleichwohl bleiben wirtschaftliche Interessen, die den Umbau Berlins zur Kapitale zwischen Love Parade und Potsdamer Platz begleiten, über weite Strekken ausgeblendet. Mehr noch, die zahlreichen Clubgänge sind auch ein Zeichen für den Rückzug ins Private, das sich in der Wohnzimmeratmosphäre etwa der mittlerweile geschlossenen Galerie berlintokyo widerspiegelt.

Manchmal spürt man allerdings eine tiefe Melancholie, die „Metroloops“ gerade wegen der beigemischten Privatheit durchzieht. Was sich gerade eben noch in Mitte ereignet hat, war schon ein Jahrzehnt zuvor in Westberlin auf dem Fahrplan durch den Underground. Für die meisten ist es wie ein Aufbruch in den zweiten Frühling – noch mal Scheitern inklusive. Plötzlich gehen dann im Bekanntenkreis Beziehungen zu Bruch, weil man das Leben zwar flexibel halten kann, die Liebe aber nicht. Für Sexprobleme gibt es Therapeuten, nur mit der Angst, im Gewimmel der Kreativen unterzugehen, muß jeder allein für sich klarkommen. Obwohl sich diese Dramen und Karrieren in Mitte oder Friedrichshain abspielen, ist Wahjudis Blick vom Kreuzberg der achtziger Jahre geprägt. In einer Sequenz führt der „Weg nach Mitte“ zurück an den Tresen des Risiko, wo Nick Cave den Schnaps ausschenkte und „der Barkeeper alle paar Minuten eine Tequilaflasche in der Tonne zerschmiß“. Ja, so ist es gewesen, 1984. 15 Jahre später steht man im WMF herum, und das laute Klirren kommt als Loop aus dem Sampler.

Claudia Wahjudi: „Metroloops. Berliner Kulturentwürfe“. Ullstein Berlin, 284 Seiten, 22 DM

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