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Auf leisen Sohlen Richtung Freihandel

Beim Gipfeltreffen erklärten die Staaten Lateinamerikas und die EU einen freien Handel zum Fernziel ihrer Politik. Doch im traditionellen Hinterhof der USA agieren die Europäer nur vorsichtig  ■   Aus Rio de Janeiro Ingo Malcher

Lateinamerika steht nicht weit oben auf der Prioritätenliste europäischer Staatsmänner. Für Schröder, Blair und Jospin ist der Kontinent traditionell der Hinterhof der USA – und das heißt für Europa, daß man auf leisen Sohlen daherkommen muß, wenn man über eine lateinamerikanisch-europäische Freihandelszone diskutieren möchte. Der Gipfel von EU und der lateinamerikanischen Staaten Anfang der Woche in Rio war daher neben großen Worten von zwei Einschränkungen geprägt: Nicht zu laut aufzutreten, um die USA nicht zu verschrecken – und die Interessengegensätze beim Handel nicht zu deutlich werden zu lassen. Das Credo der europäisch-lateinamerikanischen Zusammenarbeit wurde in Rio so formuliert: Handelsliberalisierung soll der Schlüssel zur Entwicklung der lateinamerikanischen Länder und der Karibik sein.

In der „Erklärung von Rio“ haben sich die Unterzeichnerstaaten, darunter auch Kuba, dazu verpflichtet, „die Handelsliberalisierung zu fördern“. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder und den mexikanischen Präsidenten Ernesto Zedillo war das Treffen in Rio „historisch.“ Noch nie, so Zedillo, seien Lateinamerika und Europa in Sachen Handelsliberalisierung einig gewesen. Weiterhin einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf Verbesserungen an der „Finanzarchitektur“. Krisen wie in Mexiko und Brasilien haben die Regierungen in Lateinamerika immer wieder gezwungen, Milliarden von Dollar an Währungsreserven auszugeben, um ihre Währungen zu stützen. Wie die neue „Finanzarchitektur“ genau aussehen soll, schlägt man aber in der „Erklärung von Rio“ vergebens nach: „Wir werden die Finanzsysteme unserer Länder weiter stärken und Regulierungs- und Aufsichtsmechanismen entwickeln, um für die Anwendung bewährter internationaler Normen und Verfahren zu sorgen“, heißt es wolkig.

Im Handel mit Lateinamerika fährt die EU ein deutliches Plus in der Handelsbilanz ein: 1997 standen Importen in die EU von 38 Milliarden Dollar Exporte im Wert von 52 Milliarden gegenüber. Aus Amerika kommen vor allem Rohstoffe über den Atlantik, in die ungekehrte Richtung werden Produkte und Technologie verkauft. Die Europäische Union ist der zweitgrößte Investor in Lateinamerika nach den USA, 1997 für etwa 15 Milliarden Dollar. Hauptpartner der EU sind die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, danach folgen Mexiko, Kolumbien und Venezuela. Für den Mercosur ist die EU der größte Handelspartner, noch vor den USA. Trotz der für Lateinamerika negativen Handelsbilanz geht es für Schröder „nicht um die Frage, wer besser abschneidet, sondern, daß beide damit zufrieden sind“.

Trotz aller diplomatischer Freundlichkeit kann Lateinamerika mit der Handelspolitik der EU kaum zufrieden sein. Die Mehrzahl der Märkte auf dem amerikanischen Kontinent ist offen, ihre Produkte sind in der Regel nicht subventioniert. Doch gerade mit ihren Agrarprodukten stoßen sie bei der EU auf verschlossene Tore. Sie drängen auf Öffnung des europäischen Marktes. In Rio haben der Mercosur und die EU vereinbart, bis zum 1. Juli 2001 mit den Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone zu beginnen. Das soll die europäischen Agrarsubventionen einschließen.

Leicht werden die Bemühungen um den Freihandel nicht. Zu unterschiedlich ist die Interessenslage beider Blöcke, zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen mit denen beide Seiten ins Rennen gehen. Genausowenig wie die EU ist der Mercosur ein homogener Block. Im Gegenteil. Seit Brasilien Anfang dieses Jahres seine Währung abgewertet hat, liegt das Land mit dem Nachbarn Argentinien im Clinch. Den beiden unterschiedlichen Ländern wird es schwerfallen, überhaupt eine einheitliche Position zu finden. Überhaupt wäre es wohl sinnvoller für die Mercosur-Staaten, erst einmal einen eigenen Entwicklungsweg zu suchen, als es gleich mit der EU aufzunehmen. Noch schwerer könnten die Probleme bei möglichen Verhandlungen zwischen Europa und ganz Lateinamerika werden. El Salvador hat zum Beispiel komplett andere Interessen als Chile.

Auch die USA drängen auf Freihandel mit ihren südlichen Nachbarn. Ab 2005 soll es keine Beschränkungen mehr zwischen Alaska und Feuerland geben. Um eine offene Konfrontation mit den USA zu vermeiden, wurde während des Gipfels in Rio von allen Seiten immer wieder betont, man wolle sich nicht gegen die Supermacht verbrüdern. Die strategische Allianz zwischen der EU und Lateinamerika sei „gegen niemanden gerichtet“, so Schröder und habe „nichts mit Gegnerschaft gegen Amerika“ zu tun. Statt dessen wird immer wieder vom transnationalen Dreieck gesprochen – ganz so, als ob die Volkswirtschaften der USA und der EU nicht in harter Konkurrenz zueinander stünden.

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