■ Trittin schlägt zurück: Es sei unverantwortlich, in einer Situation, wo sich gerade alles zum Besseren wendet, „Nabelschau und Selbstzerfleischung“ zu betreiben. Das sei die Wiederkehr des Wahnsinns der 80er Jahre. Die Realos hätten den Burgfrieden aufgekündigt: „Unpolitisch und geradezu idiotisch“
taz : Sie haben vor Jahren Gerhard Schröder einmal „Piächs Papagei“ genannt, nun mußten Sie in der EU-Umweltministerkonferenz auf Geheiß des Kanzlers selbst den Willen des VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piäch vollstrecken.
Jürgen Trittin: Das gesamte Kabinett und nicht allein der Bundeskanzler hat sich nicht in der Lage gesehen, der EU-Altautorichtlinie zuzustimmen. Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Bundeskanzler und den Grünen-Ministern beziehungsweise dem Umweltminister – die anderen Grünen-Minister haben sich in dieser Frage wenig geäußert, auch wenn sie sicher meiner Auffassung waren.
Wenn sich die beiden Koalitionspartner nicht einigen können, kann man auf der EU-Ebene der Richtlinie nicht zustimmen. Wegen eines Punktes der vorher weitgehend abgestimmten Richtlinie, wegen des Datum der Rücknahme von Altautos, ist dann die qualifizierte Mehrheit vorerst nicht zustande gekommen. Die Richtlinie wird aber im Oktober wieder auf der Tagesordnung stehen.
Als Automobilvertreter in einer Umweltministerkonferenz – legt eine solche Rolle nicht Rücktrittsgedanken nahe?
Wegen der Vertagung eines Details einer Richtlinie kommen mir nicht im entferntesten solche Gedanken. Jetzt wird es im Herbst eine Entscheidung über die Richtlinie geben, die eine kompromißbereite EU-Kommission schon im Frühjahr hätte möglich machen können. Alle Mitgliedsstaaten haben ihre Zustimmung signalisiert zu einem Vorziehen der Rücknahmepflicht für Neufahrzeuge, durch die dann über die Einbeziehung der Entsorgungskosten in den Preis bereits Geld angesammelt werden kann, und zu einer Verschiebung der Rücknahmepflicht für Altfahrzeuge um einen gewissen Zeitraum. Es wird eine Altautorichtlinie mit Rücknahmeverpflichtung geben.
Der Abgeordnete Oswald Metzger verlangt aber genau wegen Ihres Verhaltens in Brüssel Ihren Rücktritt.
Herr Metzger und andere, die sich da geäußert haben, haben nie gewollt, daß jemand aus der Parteilinken Bundesminister wird. Sie wollen die Grünen als reinen Realoladen. Ihr Problem ist: Den werden sie nicht bekommen.
Aber nach Ansicht Ihrer Kritiker bringt gerade eine solche Neuausrichtung der Partei den Grünen wieder mehr Ansehen in der Wählergunst.
Die Grünen haben eine Negativserie bei Wahlen hinter sich: Minus 35 Prozent in Hessen, das ja Hochburg einer Parteiströmung ist, minus 42 Prozent in Bremen, wo auch ein kein besonders linker Landesverband zu Hause ist, und minus 48,5 Prozent bei der Europawahl. Die unselige Diskussion, an der Herr Metzger sich beteiligt, ist bestens geeignet, diese Negativserie fortzusetzen. Es ist unpolitisch und geradezu idiotisch, in einer Situation, in der die Koalition mit einem in sich geschlossenen Sparpaket wieder Tritt gefaßt hat, sich durch Personaldiskussionen und dadurch, daß man beim Papiereschreiben das Wasser nicht halten kann, in den Bereich der Nabelschau und der Selbstzerfleischung zu begeben.
Jetzt lenken Sie vom eigenen Verhalten ab.
Nein, bisher hatte ich geglaubt, daß jene denkwürdige Pressekonferenz zum zehnjährigen Bestehen der Grünen, bei der sich zwei Vorstandssprecherinnen gegenseitig zum Rücktritt aufforderten, eine Lehre für alle Grünen gewesen sei. Aber jetzt sieht man an den Äußerungen einiger Realos und Jungrealos, daß der Wahnsinn der achtziger Jahre am Ende der neunziger noch steigerungsfähig ist.
Es geht doch hier um den Bundesumweltminister und nicht die Neuauflage alter Flügelkämpfe.
Dieser Umweltminister steht für eine Politik. Es hat vor Jahren als Reaktion auf die dauernden innergrünen Querelen eine Verabredung zwischen jeweils vernünftigen Teilen der Realos und der Linken, einen sogenannten Burgfrieden, gegeben. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt haben führende Vertreter der Realos gesagt, daß dieser Burgfrieden nunmehr aufgekündigt sei. Sie haben hinzugefügt, man wolle ihn inhaltlich aufkündigen. In Wirklichkeit wird aber nun die gleiche traditionalistische Selbstzerfleischung betrieben, die man von den Grünen aus den späten achtziger Jahren kennt. Nun droht auf ein Ende des Burgfriedens der Suizid zu folgen.
Und wie wollen Sie nun die jetzige Grünen-Negativserie beenden?
Statt überflüssige innerparteiliche Flügelkämpfe zu inszenieren, muß man beharrlich und ruhig die Linie verfolgen, die wir uns für die Koalition vorgenommen haben: Dazu zählt etwa die ökologische Modernisierung, angefangen beim Steuersystem, und auch die energiepolitische Wende, die sehr stark mit der Notwendigkeit des Ausstiegs aus der Atomenergie verknüpft ist.
Die Partei hat bisher die Umorientierung zur Regierungspartei noch nicht so bewältigt, daß ihr die Anhänger auch folgen. Für die Erfolge, die die Grünen jetzt brauchen, muß eine geschlossene Partei am Bonner Kabinettstisch sitzen. Lange, aber inhaltsleere Papiere helfen nicht weiter – im Gegenteil.
Interview: Jürgen Voges
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