Bekenntnis zum Suff, Sex und Streunen

■ Marianne Faithfull röchelte am Mittwoch im Modernes

Seit zwei Jahren versuchten die Veranstalter von 'Women In (E)Motion' nun schon, Marianne Faithfull für ihr Festival zu engagieren. Vergebens. Jetzt hatte sie endlich Zeit. Einer ihrer vier Auftritte in Deutschland fand nun, dank tatkräftiger Unterstützung von 'Sparkasse In Concert',als 'Women In (E)Motion-Special' in Bremen statt. Sehr zur Zufriedenheit der 600 überwiegend älteren Herrschaften, aus denen sich das Publikum rekrutierte. Angereist war nicht nur lokale Prominenz aus Presse und Fernsehen; ein unerkannt Gebliebener hatte bereits die versammelte LehrerInnenschaft aus seiner Nachbarschaft als anwesend ausgemacht. So unter sich genossen sie einen Ausflug in eine andere Zeit, in der mittlerweile ehrenvoll ergraute Typen wie Roger Waters, Mick Jagger und Leonard Cohen von jungen Menschen für Sprachrohre ihrer Generation gehalten wurden.

Von einer dezent agierenden Band begleitet, stand Marianne Faithfulls dunkle, brüchige Stimme ganz und gar im Vordergrund, von technischen Effekten kaum eine Spur. Hochgeschnürt und korsettiert, eine Zigarette rauchend, begann sie den Abend mit dem Titelsong ihrer neuen Platte, 'Vagabond Ways', ein Bekenntnis zum Leben auf der Straße, zum Streunen, zum Sex und zum Suff. Ein warmer, zunehmend begeisterter Applaus wurde ihr dafür zuteil, und die Faithfull genoß die Beifallsbekundungen sichtlich. Einzig das widerspenstige Korsett inkommodierte offensichtlich, da die Faithfull es immer wieder zurechtrücken mußte.

Ein paar Zigaretten und Songs später kam sie dann auch schon mal ins Plaudern. Zum Beispiel, wie sie einst bei Roger Waters vorbeischaute, um ihn zu fragen, ob er nicht einen Song für sie hätte. Oder wie sie im Jahre 1967 mit 'Dreaming My Dreams' eine Nummer Eins in Irland hatte. Ihr schien es ganz gut zu gehen, auf der Bühne des Modernes, weshalb bei allem Blues und der Tristesse, die ihrem Repertoire aus Songs von Leonard Cohen, Shel Silverstein und anderen bisweilen innewohnen, ihr Auftritt sehr entspannt wirkte. Vor einem unauffällig geknüpften Hintergrund, changierend zwischen Folk und Rock, intonierte sie Songs von ihrer neuen Platte ebenso, wie 'Broken English', ihren Comeback-Hit aus den späten Siebzigern oder als Zugabe das unverzichtbare 'As Tears Go By', wobei sie ihre Brecht/Weill-Phase von vor ein paar Jahren sehr zum Bedauern einiger KonzertbesucherInnen völlig ausklammerte.

Daß dabei die, wie schon gesagt, dezent agierende Band, vor allem wenn es an Bluesformen ging, ins Schunkelige verfiel, auch vor Platitüden nicht zurückschreckte und mit Ausnahme des musikalischen Direktors an der Gitarre kaum Akzente setzen konnte (oder durfte?), störte fast niemanden. Umso mehr stand eben der ungekünstelte Gesang im Zentrum des Geschehens, der seine Entsprechung im Auftreten der Faithfull fand, wie sie die Haare nervös nach hinten strich, sporadisch ihr Korsett zurechtrückte und die Zuneigungsbekundungen der Menge genoß.

Andreas Schnell