: Die Mülltonne aus Paris
Besser als sein Werbespot: Beim Filmfest München gab es die erste Komödie in tibetischer Sprache sowie Kurzfilme von Roman Polanski zu sehen ■ Von Alexandra Seitz
„Kino total genial“ lautete das etwas hilflose Motto des Filmfestes, das vergangene Woche in München stattfand. Der Filmfesttrailer jedenfalls war schon mal genial – mißlungen. Der zu lang geratene Billigstwerbespot mauserte sich freilich bald zum liebsten Feind des Publikums und wurde stets lustvoll verhöhnt. Abhalten konnte die minutenlange Zumutung zu Beginn jeder Vorstellung glücklicherweise niemanden, und so versammelten sich allabendlich Mengen schwarzgekleideter Menschen mit Sonnenbrillen und Handys vor dem Klaustrophobie erregenden Tiefgaragenbunker des Kinocenters am Isartor, in dem ein Großteil der gut 200 Filme des Programms gezeigt wurden.
Wenn der berühmt-berüchtigte „Schnürlregen“ nicht wieder mal alles versaut, findet der Filmfreund, der es weder nach Cannes noch nach Venedig schafft, an der Isar die ideale Kombination aus Sonne, Biergarten, guten Filmen und guter Laune. Der Vorwurf, die kleineren deutschen Filmfeste klaubten sich lediglich die Rosinen aus den Kuchen der A-Festivals und fungierten darüber hinaus als konzentrierte Preview-Woche der großen Verleihfirmen, er ignoriert, daß neben Filmen wie John Sayles „Limbo“, John Boormans „The General“ und dem völlig zu Recht umstrittenen „Pola X“ von Léos Carax, die bald anlaufen, in den filmhistorischen und geographischen Reihen jede Menge Entdeckungen zu machen sind.
Ob dies auch für die gern gering geachtete Reihe „Top Television“ zutrifft, scheint eine Frage des Blickwinkels zu sein. Die Branche, wie zu hören, schätzt die Bedeutung der Reihe jedenfalls sehr hoch ein, und mit Erick Zonca, Dominik Graf und Hermine Huntgeburth stellten denn auch interessante Regisseure ihre neuen Arbeiten fürs Fernsehen vor. Außerdem traditionell in München vertreten: junge französische Filme und American Independents, deren Spannweite vom wild-ungehobelten, auf 35 mm aufgeblasenen Do-it-yourself-Movie bis zum durchkonstruierten Next-stop-Hollywood-Produkt reicht.
Mit „Lovers“ von Jean-Marc Barr (mit Elodie Bouchez) war der erste französische Dogma-95-Beitrag zu sehen, während „Jerome“ als Idealfall eines American Independent gelten mußte, ein tragikomisches Roadmovie mit den drei Vätern David Elton, Eric Tignini und Thomas Johnston, die den Film schrieben, produzierten und drehten. Nun könnte man befürchten, daß viele Köche den Brei verderben, aber ganz im Gegenteil: Die Geschichte des Schweißers, der eines Tages seinen Job hinwirft, um zu einem Künstlerdorf in der Wüste, eben jenem Jerome, aufzubrechen, und der unterwegs seine ganz spezielle Calamity Jane trifft, weswegen er schließlich im Knast statt in Jerome landet – diese Geschichte ist so stilsicher, harmonisch und mit genau plazierten, lakonischen Pointen inszeniert, wie es selten ein einzelner Regisseur hinbekommt.
Eine Entdeckung der besonderen Art kam aus dem entlegenen Buthan. „Phörpa“ (Weltmeisterschaft) ist der erste Film in tibetischer Sprache, nebenbei auch der erste Film, den ein buddhistischer Mönch gedreht hat. „Phörpa“ schildert auf außerordentlich unterhaltsame Weise, wie sich selbst ein ganzes Kloster der Macht von König Fußball nicht widersetzen kann. Lama Khyentse Norbu, der Regisseur, erzählte dem höchst amüsierten Münchner Publikum, daß es für seine Mitmönche nicht ganz einfach hinzunehmen gewesen sei, wie er da herumwerkelte und -inszenierte, anstatt, wie gemeinhin von ihm erwartet wird, brav auf seinem Thron zu sitzen.
Einen ähnlich erstaunlichen Blick auf die weite Welt entwikkelte auch „Genghis Blues“, der Gewinner des Publikumspreises in Sundance. In Tuva, das, falls Sie das nicht wissen, in der nordwestlichen Mongolei liegt, findet alle drei Jahre ein Wettbewerb im Kehlkopfsingen statt. Roko Belic' Film nun dokumentiert die Abenteuer des blinden Bluesmusikers Paul Penac, der aufbricht, um an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Ein wunderbarer Film voll warmherziger Menschen und eigenartiger Musik.
Die Werkschau widmete München in diesem Jahr Roman Polanski, der sich angesichts dieser Ehre fragte, ob man ihn schon zum alten Eisen zählt. Nun ja, er hätte den Gegenbeweis antreten können, hob aber seinen eben fertiggestellten Film „The Ninth Gate“ mit Johnny Depp doch lieber für Venedig auf. So gab es halt alle seine Kurzfilme.
Eine Hommage wurde auch „der Mülltonne des französischen Kinos“ erwiesen. Marin Karmitz trägt diesen wenig schmeichelhaften Spitznamen, weil er eine ganze Reihe von Filmen produzierte, die andere französische Produktionsfirmen zuvor abgelehnt hatten. Und so entstanden unter seiner Ägide immerhin Angelopoulos' „Der Bienenzüchter“, Kieslowskis Drei-Farben-Trilogie oder Chabrols „Die Farbe der Lüge“. Wenigstens in Auszügen war in München schließlich auch das Werk der philippinischen Regisseurin Marilou Diaz-Abaya zu sehen. Gegenstand von Diaz-Abayas Melodramen sind die patriarchalen Strukturen der philippinischen Gesellschaft. Indem sie den Film als Mittel der Politik und der Volksaufklärung einsetzt, ergreift Diaz-Abaya klar Partei für die ausgeschlossenen und unterprivilegierten Gruppen in ihrem Land.
Und dann darf die kleine Reihe von fünf Filmen keinesfalls unerwähnt bleiben, die Werner Herzog mit Klaus Kinski gedreht hat. Sie lief unter dem etwas pathetischen Motto „Genie und Wahnsinn“. Doch anläßlich der Aufführung der vielgelobten, sehr persönlichen und liebevollen Dokumentation „Mein liebster Feind“, mit der Herzog die Herzen aller Kinski-Fans erobert haben dürfte, kam diese Möglichkeit des Wiedersehens sehr gelegen.
Und sehr gelegen kommt in München, wie schon gesagt, auch immer die Möglichkeit, sich mal vom vielen Filmegucken zu entspannen und am Chinaturm eine Maß zu trinken. Da ist man ebenfalls bestens bedient.
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