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Durchbruch beim Drug-Checking

Berliner Richterspruch macht Schluß mit der Kriminalisierung von Pillentests: Die Annahme von Rauschmitteln zum Zwecke der Drogenanalytik ist kein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz  ■   Aus Berlin Manfred Kriener

Das Testen von Ecstasy-Pillen und anderen Rauschmitteln ist kein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, sondern legale Praxis. Szeneorganisationen und Drogenhelfer können künftig Tabletten und kristalline Pulver auf gesundheitsgefährdende Beimengungen und Wirkstoffgehalte untersuchen lassen, ohne damit gleich Staatsanwalt und Polizei in Marsch zu setzen. Die 6. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat in zweiter Instanz zugunsten von zwei angeklagten Aktivisten entschieden: Danach ist die Annahme von Rauschmitteln zum Zweck der als „Drug-Checking“ bekannt gewordenen Drogenanalytik kein strafbares „Inbesitzbringen“ im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes.

Die Angeklagten Helmut Ahrens und Jürgen Kunkel, beide Mitglieder von „Eve & Rave“ in Berlin, bewerteten das Urteil gestern als Durchbruch. Der Richterspruch habe eine ähnliche Bedeutung wie das richtungsweisende Cannabis-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, das den Besitz von Kleinstmengen legalisierte. Erstmals sei jetzt das Drug-Checking von einem Gericht rechtswirksam als legal eingestuft worden. Damit werde der Weg frei für eine tabufreie Aufklärung und eine neue Drogenmündigkeit. Die Politik habe jetzt keine Ausreden mehr, sagte Ahrens.

Streckungen des Originalstoffs mit allerlei Pülverchen durch Drogenhändler sind keine Seltenheit. Ebenso schwankt der Wirkstoffgehalt von null bis über 90 Prozent. Vor allem bei Heroin sind viele Todesfälle auf solche Schwankungen zurückzuführen. Bei Ecstasy werden häufig Aufputschmittel zugemixt.

In Berlin hatten Ahrens und Kunkel zusammen mit dem gerichtsmedizinischen Labor der Charité vor vier Jahren begonnen, Ecstasy-Pillen auf gesundheitsgefährdende Beimengungen zu testen. Die Drogen konnten anonym, mit Kennwort und 70 Mark Kostenbeteiligung versehen, an ein Postfach geschickt werden, das regelmäßig geleert wurde. Unter Angabe des Kennworts konnte der Konsument später das Ergebnis des Tests abfragen. Auch besorgte Eltern nutzten die Einrichtung.

Die Staatsanwaltschaft hatte von Beginn an versucht, das Drug-Checking zu stoppen. Der Leiter des Charité-Labors, Professor Pragst, wurde unter Druck gesetzt, Unterlagen beschlagnahmt, ein Strafverfahren gegen Ahrens und Kunkel eingeleitet. Vorwurf: Sie hätten sich – durch den Transport vom Postfach zum Labor – in den Besitz illegaler Drogen gebracht. Diese Konstruktion hatte keinen Bestand. Die Entgegennahme der Betäubungsmittel „diente dem Zweck der Analyse“, erklärte jetzt das Landgericht und verwies auf die „anschließende Vernichtung der Pillen“. Die beiden freigesprochenen Aktivisten sehen im Drug-Checking neben der rein stofflichen Analyse auch ein wichtiges Instrument der Kommunikation. Konsumenten könnten auf Risiken besser hingewiesen, ihr Gesundheitsbewußtsein verstärkt werden.

Aktuell warnt „Eve & Rave“ vor einer blauen E-Pille mit aufgedrucktem Reichsadler. Sie verursache schwere Nebenwirkungen bis hin zu Lähmungserscheinungen. In Berlin nimmt jeder zweite Partybesucher Drogen. Bei der Love Parade sind das mehrere hunderttausend.

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