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Ämterhäufung: Mal hü mal hott?

■ Zwischen Fraktionsdisziplin und Gewerkschafterherz: Drei Parlamentarier im Spagat zwischen Partei und Verband

Seit gestern muß Helga Ziegert zwei Jobs unter einen Hut kriegen: Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sitzt als neue Abgeordnete für die SPD im Parlament. Was sie dabei erwartet, kann „einen Spagat“ bedeuten: zwischen Partei und Gewerkschaft, Theorie und Praxis.

Die Grätsche zwischen Fraktion und Arbeitnehmerverbänden müssen derzeit mehrere Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft hinbekommen: Brigitte Dreyer muß sich zwischen CDU und DAG, Wolfgang Jägers zwischen SPD und IG-Bau-Interessen entscheiden. Dieser Spagat hat vor Jahren in einem spektakulären Fall einem Gewerkschaftsvorsitzenden den Kopf gekostet: Arno Weinkauf hatte morgens auf der DGB-Vorstandssitzung für die Ausbildungsplatzabgabe gestimmt und nachmittags als SPD-Abgeordneter dagegen. Nachdem in den Bremer Nachrichten eine herzerfrischende Glosse aus dem fiktiven Biefwechsel „Arno an Arno“ erschienen war und die gesamte Gewerkschaftsszene herzlich lachte, mußte Weinkauf seine Ämter niederlegen.

An Weinkauf erinnert sich Ziegert noch genau: „Solche Schwierigkeiten wünsche ich mir nicht“, sagt sie an ihrem ersten Tag in der Bremischen Bürgerschaft. „Das zeigt, daß der Spagat auch zum Zerreißen führen kann.“ Probleme sieht sie trotzdem auf sich zukommen. „Doch die gibt es eigentlich immer, wenn man politische Forderungen in die Praxis umsetzten will. Das muß man aushalten können.“

Nicht entscheiden kann sich Kollegin Dreyer, wenn es um ihr „Herzblutthema Ladenschluß“ geht. In dem Fall ist die CDU-Meinung nicht „kompatibel“ mit der Haltung der DAG-Gewerkschaftlerin. „Dann gehe ich raus, mir die Nase pudern.“ Zwei Mal schon trat sie die Flucht auf die Toilette an. „Vorher habe ich das natürlich mit beiden Seiten besprochen.“

Ziegert will sich „im Zweifelsfall“ für den DGB entscheiden. „In erster Linie bin ich Gewerkschafterin.“ Bei der SPD hofft sie, „vieles unter einen Hut bringen zu können“. Erster Knackpunkt indes könnte die noch am Montag von ihr vehement geforderte Ausbildungsplatzabgabe sein.

Zwar will die SPD mit der Strafmaßnahme noch bis zum Herbst abwarten und dann Bilanz ziehen. Die CDU in Bremen lehnt eine Ausbildungsplatzabgabe aber strikt ab. Einen Bruch mit der großen Koalition in Bremen sieht Ziegler dennoch nicht: „Eine Landesregelung streben wir nicht an. Und auf Bundesebene hat die SPD ja andere Ansprechpartner.“

Für den Gewerkschaftsforscher Prof. Eberhard Schmidt sind große Koalitionen generell problematisch: „Eine starke Opposition ist oft der vernünftigere Ausgangspunkt für Gewerkschaftler.“ So aber würde viel hinter den Kulissen entschieden. Und da müßten auch die Gewerkschaften dabei sein.

Das sehen die Chefs der Bremer Gewerkschaften ähnlich. Manfred Muster, Geschäftsführer der IG Metall, findet es „grundsätzlich gut, daß die Vorsitzende des DGB in Bremen im Parlament ist“. Entscheidend sei, ob jemand persönlich glaubwürdig ist. Und nicht wie Weinkauf mal so oder so stimme. Auch für Jan Kahmann, ÖTV-Chef, gehören Gewerkschaftler in die Bürgerschaft: „Die ein oder andere kritische Stimme im Parlament ist wichtig.“

Zwar laufen bei Brigitte Dreyer „die Kontakte zur CDU natürlich über meine Person“. Als Sprachrohr der DAG in der CDU sieht sie sich nicht. „Das muß man auseinanderhalten können.“ Ähnliches versucht die Neuparlamentarierin Ziegert. Für sie ist ihr Amt vor allem eine Chance, „eine öffentliche Debatte herzustellen“. Was zähle, sei die Praxis: „Ohne Widerspruch ist man nur, wenn man in der Theorie bleibt.“ dok

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