: „Erstmalig ein großes öffentliches Interesse für die EU“
■ Roland Bieber, Professor für Europäisches Recht an der Universität Lausanne und ehemaliger Rechtsberater des Europaparlaments, über den Fall Bangemann
taz: In seinem Gespräch mit der spanischen Zeitung „El Mundo“ führt Martin Bangemann an, auch andere Ex-Kommissare seien in Privatunternehmen abgewandert. Stimmt das?
Roland Bieber: Zahlreiche von den ungefähr hundert ehemaligen Kommissaren haben später in der Privatwirtschaft gearbeitet. So ungewöhnlich ist das nicht. Die speziellen Umstände aber schon. Wenn Martin Bangemann zum 1. Juli einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche abgeschlossen hat, dann ist mir kein vergleichbarer Fall bekannt. Denn die Telekommunikation gehörte ausdrücklich zu seinem Aufgabenbereich. Das bedeutet, er ist unmittelbar aus seinen Dienstpflichten in den gleichen Bereich der Privatwirtschaft gewechselt.
Ist das nur ethisch verwerflich, oder gibt es eine Rechtsvorschrift, die er damit verletzt hat?
Schon in der europäischen Montanunion gab es eine Regelung, wonach die Mitglieder der Kommission drei Jahre nach ihrem Ausscheiden nicht für ein Unternehmen aus der Stahl- oder Kohlebranche arbeiten durften. Da hat man einen Hinweis, welchen Zeitraum der Gesetzgeber als kritisch betrachtet. Diese Vorschrift wurde 1965 durch einen entsprechenden Passus im EG-Vertrag ersetzt, der für Richter und für Kommissare gilt.
In Paragraph 213 des Amsterdamer Vertrags taucht das wörtlich wieder auf: „Bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit übernehmen sie die feierliche Verpflichtung (...) bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf dieser Tätigkeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein.“ Dieser Satz ist der ganze Schlüssel zu dem Problem.
Welche finanziellen Ansprüche hat Herr Bangemann?
Wenn es nicht zu einer Klage kommt, hat Herr Bangemann Anspruch auf Altersversorgung. Die Höhe hängt davon ab, wie lange er bei der Kommission tätig war. Sein Übergangsgeld – er hätte Anspruch auf vier Monate Gehaltsfortzahlung – wird mit den neuen Bezügen verrechnet. Wenn es zur Klage kommt – nur der Rat oder die Kommission können vor dem EuGH eine Klage anstrengen – und wenn der EuGH zu dem Schluß kommt, daß eine Pflichtverletzung vorliegt, dann kann der Gerichtshof ihm seine Ruhegeldansprüche aberkennen.
Was bedeutet der „Fall Bangemann“ für den Ruf der europäischen Institutionen?
Zum ersten Mal in der Geschichte der Kommission gibt es ein öffentliches Interesse dafür, was dort eigentlich stattfindet. Von den Verfehlungen der Vergangenheit weiß man wenig, weil sich niemand dafür interessiert hat. Von solchen Vorgängen, die in der Öffentlichkeit als Skandal empfunden werden, geht ein heilsamer Druck auf die Regierungen aus, die Unabhängigkeit und die Autorität der Kommission zu fördern. Ein Postenschacher, wie er derzeit wieder stattfindet, schadet der Integrität der Behörde. Man kann auch nicht immer fordern, daß dynamische Wirtschaftler und Juristen in der Kommission sitzen und sich dann wundern, wenn sie nach Ende ihres Mandats nicht still im Kämmerlein sitzen und ihre Pension verzehren. Das ist nicht unethisch und gilt auch für Herrn Bangemann. Interview: Daniela Weingärtner
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