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■ Das Zentrum des montenegrinischen Widerstands gegen Serbien hat einen Namen: Cetinje, ein Nest in den Bergen. Natürlich gibt es hier auch einen Helden: Bobo. Er führt die „Befreiungsarmee“ an und hätte gern eine parlamentarische Monarchie   Aus Cetinje Thomas SchmidKleine Stadt der Großmäuler

Cetinje ist eine kleine Stadt mit einer großen Geschichte. Vom Glanz vergangener Tage zeugen etwa eine Reihe stattlicher Paläste, die die 15.000 Einwohner zählende Ortschaft in den karstigen Bergen Montenegros prägen. Es sind die ehemaligen Botschaften Rußlands, Österreich-Ungarns, Italiens, Frankreichs, Großbritanniens und der Türkei, errichtet nach dem Berliner Kongreß von 1878, auf dem die damaligen Großmächte die Unabhängigkeit des Fürstentums anerkannten.

Denn bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war Cetinje die Hauptstadt Montenegros. Der kommunistische Partisanenführer Tito machte zwar nach dem Zweiten Weltkrieg Podgorica zur Kapitale der kleinsten jugoslawischen Teilrepublik.

Und noch immer ist der verschlafene, recht trostlos wirkende Ort, der lange Zeit Titograd hieß, Hauptstadt, doch das Herz Montenegros schlägt nach wie vor in Cetinje. Denn Cetinje war jahrhundertelang Refugium montenegrinischer Kultur und Hort hartnäckigen Widerstands gegen das Osmanische Reich.

Hier ließ sich 1482 der Metropolit Ivan Crnojevic nieder und baute sein Kloster. Hier begründete 1702 der Fürstbischof Danilo, der in seinem Herrschaftsbereich aus Rache für türkische Brandschatzungen sämtliche Muslime – ob Türken, Albaner oder konvertierte Serben – hinmorden ließ, seine Dynastie, die erst 1918 mit der Abdankung König Nikolas zu Ende ging.

Hier baute Fürstbischof Njegos, dessen Porträt in jeder montenegrinischen Bauernstube hängt, seine Biljarda, die nach seinem Lieblingsspiel benannte Residenz: ein einfacher Palast aus grauem Stein, der mit dem Kloster aus demselben grauen Stein, zum Teil in den Berg gemeißelt, ein architektonisches Ensemble bildet.

Und hier, in dem abgelegenen Nest an der Scheidelinie zwischen der Donaumonarchie und dem Osmanischen Reich, wurde spioniert und intrigiert. In der Abgeschiedenheit der Berge entstand das unabhängige Montenegro.

Die Unabhängigkeit ist längst verloren. Es ging im Zwischenkriegs-Jugoslawien auf, wurde später eine kommunistische Teilrepublik und bildet heute zusammen mit Serbien die Jugoslawische Föderation. Doch nun macht Cetinje wieder als Zentrum einer neuen Unabhängigkeitsbewegung von sich reden.

In diesem kleinen Städtchen hatte die Liberale Partei, die als einzige politische Kraft die Sezession auf ihre Fahnen geschrieben hat und landesweit vor einem Jahr gerade 6 Prozent der Stimmen erhielt, rund 40 Prozent der Wähler überzeugt. Heute ist sie wohl die stärkste Partei im Ort.

Kein Wunder also, daß in Cetinje während des Krieges im Kosovo nur zwölf Jugendliche dem Einberufungsbefehl der jugoslawischen Armee Folge leisteten. Die Postboten weigerten sich, die Bescheide zuzustellen – nur ein altgedienter Beamte fand sich schließlich dazu bereit. Für jeden zugestellten Einberufungsbefehl habe er von der Armee eine bestimmte Summe erhalten, behaupten die Leute.

Und deshalb wurde die widerborstige kleine Stadt im Mai regelrecht belagert. Denn sie war für das Belgrader Regime eine Provokation. 6.000 Soldaten der jugoslawischen Armee hätten den Ort umzingelt, berichtet Zoran Gazivoda, „wir mußten uns verteidigen“. Und so entstand die „Befreiungsarmee Montenegros“.

Sie sei zwar nur 400 Mann stark, aber besser bewaffnet als die UÇK im Kosovo, meint der 21jährige Kellner, der am Tresen der Bar Gaeta bedient. Und natürlich trügen die Freiheitskämpfer eigene Uniformen – mit dem Wappen der Petrovic-Dynastie von Danilo und Njegos, einem gekrönten doppelköpfigen Adler über einem Löwen.

Gazivoda muß es wissen. Sein Bruder gehörte der „Befreiungsarmee“ an, und vor allem ist sein Brötchengeber, der Eigentümer der Bar Gaeta, jener Bobo, von dem alle in der Stadt reden. Bobo, der Handballstar; Bobo, der als Tänzer im nationalen Ballett gearbeitet hat; Bobo, der Kopf des bewaffneten Widerstands. Bobo ist ein Held, und er ist der Feind Nummer eins der Herrscher in Belgrad.

Bobo heißt eigentlich Bozidar Bogdanovic. Und Gaga, sein Sohn, heißt eigentlich Miodrag. Und da er der älteste ist, griff er im Juni nicht zu den Waffen. Er muß in Abwesenheit seines Vaters für die Familie sorgen. Außerdem ist Gaga wie sein Vater Tänzer, aber auch Sänger und Gitarrist. Auf die Kulturgeschichte seiner Stadt – „die erste in Europa, in der mit Messer und Gabel gegessen wurde“ – ist er mächtig stolz.

Noch stolzer aber ist er auf seinen Vater: „Er ist ein besonderer Mann“, sagt er, „den Bulatovic hat er einmal an seinem riesigen Schnäuzer gepackt.“ Bulatovic, damals Präsident Montenegros und heute Ministerpräsident Jugoslawiens, ist der Mann, der Belgrads Politik in Montenegro durchsetzen will. Kurzum: eine Marionette Miloševics.

Die Geschichte von Bobo, der Bulatovic am Oberlippenbart geschüttelt hat, kennen hier alle. Überhaupt gibt es viele Geschichten über Bobo, die alle kennen. Und wenn die Leute, die hier im Schatten der Platanen ihren Kaffee trinken, nicht alle lügen, stimmt manche sogar. Zum Beispiel dievon der Verhaftung Bobos.

Mitte Juni kam die jugoslawische Armee ins Dörfchen Ivanova Korita, das oberhalb von Cetinje, am Hang des Lovcen, des mächtigen Bergmassivs aus schroff abweisenden Felsen, liegt. Um den Lovcen ranken sich viele Mythen, auf seinem Gipfel ist schließlich der Fürstbischof Njegos beerdigt.

Die Armee kam also um fünf Uhr morgens nach Ivanova Korita, um zwei Jugendliche, die den Einberufungsbescheid erhalten hatten, abzuholen. Daß die „Befreiungsarmee“ just dort ein Ausbildungslager unterhielt, wußten die Soldaten vielleicht nicht. Als sie in die Luft schossen, um die Menschen einzuschüchtern, nahmen Bobo und zwei andere Männer der 40köpfigen Truppe, die vor Ort war, sofort ihre Positionen ein. „Unsere Leute schossen aber nicht“, sagt Gaga, „wir wollten keinen Bürgerkrieg.“

Irgendwie geriet Bobo in die Hände der Armee. Und schon wenige Stunden später war die ganze Stadt im Aufstand und forderte die Freilassung Bobos. Alle Ausfallstraßen wurden blockiert, um zu verhindern, daß der verhaftete Held nach Serbien verschleppt wurde. Bobo kam noch am Abend desselben Tages frei.

„Schreiben Sie bloß nichts von einer Befreiungsarmee“, bittet Rajko Buskovic, der Trainer der örtlichen Basketballmannschaft ist und in Bermudashorts auf einem der Stühle vor der Bar Gaeta sitzt, „das ist alles serbische Propaganda. Die Waffen und Uniformen hat das Innenministerium geliefert, all diese Leute sind unter der Kontrolle der Regierung in Podgorica.“ Er kennt sich aus, denn er war Kommandant von zwölf „Soldaten“ der „Befreiungsarmee“. Oder „Reservepolizisten“, wie er selbst sie nennt.

Aus seinem Mund hört sich alles sehr prosaisch an. Etwa 130 Männer seien in vier oder fünf Lagern im Lovcen ausgebildet worden. Die Trainingscamps seien inzwischen aufgelöst, die jugoslawische Armee kontrolliere nun das Gelände und die aufmüpfigen Dörfer am Lovcen. „Aber wenn es nötig wird“, sagt Rajko Buskovic, „sind wir sofort wieder bewaffnet, wir sind bereit.“

Daß Montenegro je auf friedlichem Weg zu seiner Unabhängigkeit kommen kann, glaubt er nicht. Aber eine Alternative zu einem souveränen Staat Montenegro sieht er nicht. „Serbien braucht hundert Jahre, bis es wieder zu einem normalen Leben findet, aber meine Kinder können nicht so lange warten.“ Und im übrigen sei es ja wohl obszön, daß Miloševics Sohn Marko für die Sprößlinge der Neureichen einen „Bambi-Park“ eröffnet hat, „wo doch unsere Kinder sich nicht einmal einen Riegel Schokolade leisten können“.

Es ist dunkel geworden, und noch immer ist Bobo in seiner Bar nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich will er mit Journalisten nicht mehr reden. Vielleicht hat er wirklich Wichtigeres zu tun. Mag sein, daß er wegen kritischer Fragen eines britischen Reporters für ein paar Tage vergrätzt ist. Wer weiß.

Doch dann steht er plötzlich vor der Bar: ein stämmiger Typ, der Wein für die ganze Runde bestellt und ausgesprochen leutselig ist. Er hat eine durchaus herzliche, einnehmende Art. Gerade ist er aus Podgorica angekommen, wo er sich mit dem Innenminister getroffen hat. „Worüber haben Sie denn gesprochen?“ – „Bitte, Sie müssen verstehen, daß ich darüber nicht reden kann.“

Es gefällt ihm, daß die Leute von einer Befreiungsarmee sprechen, aber er gibt unumwunden zu, daß er eng mit der Regierung zusammenarbeitet. „Wir sind schließlich die künftige Armee Montenegros.“ – „Wieviel Mann haben Sie denn unter Waffen?“ – „Viele, ziemlich viele, die jugoslawische Armee, die Besatzungsmacht, weiß das, und Miloševic weiß das, und sie wissen, daß ein Krieg ihre endgültige Niederlage bedeutet. Im Notfall können wir in einer halben Stunde 25.000 bewaffnete Männer mobilisieren.“

Nüchterne Beobachter gehen davon aus, daß, was sich im Juni abgespielt hat, nicht viel mehr als ein Spuk war, daß es im Lovcen, anders als Bobo behauptet, keine versteckten Kämpfer mehr gibt.

Aber die Leute von Cetinje lieben große Worte. Schließlich hat ihr Städtchen eine große Vergangenheit. Die Porträts, die in der Bar Gaeta hängen, zeugen davon: Sie zeigen Danilo, den Begründer der fürstbischöflichen Dynastie, Niegos, der mit 17 Jahren an die Macht kam, und Nikolas, der sich 1910 zum König ausrief und schließlich nach 58 Jahren Amtsführung – mehr als der alte Kaiser Franz Joseph – „unter dem Druck Serbiens“ abdanken mußte, und das große Vorbild von Bobo: Krsto Zrnov Popovic, den Anführer der Grünen, die im montenegrinischen Bürgerkrieg (1919 bis 1924) gegen die Weißen kämpften, und der 1947 von der kommunistischen Geheimpolizei erschossen wurde. Die Grünen kämpften für die Unabhängigkeit, die Weißen für ein jugoslawisches Montenegro.

Bobo sieht die heutige Auseinandersetzung in dieser Tradition, und auch die Thronfolge ist im Prinzip schon geklärt. Irgendein Prinz Nikolaus II. fristet sein Leben heute als Architekt in Paris. Noch. Bobo möchte, daß er als König in seine Heimat zurückkehrt, aber natürlich ist der Volksheld von Cetinje für die Demokratie. Am liebsten wäre ihm eine parlamentarische Monarchie – genauso wie in England.

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