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Über ein dreißig Jahre altes Problem

■ Literaturdebatte 3. Teil: Ein Pamphlet gegen das Weiterwursteln Von Hartmut Finkeldey

Am 3. November eröffnete der Schriftsteller Carsten Klook an dieser Stelle eine Debatte über den angeblich ziemlich traurigen Zustand der Hamburger Literaturszene. Nach dem Autor Oliver Platz (28. November) antwortet heute der Mitherausgeber der Literaturzeitung „sog. Tellheimer Apfelabschuß“, Hartmut Finkeldey, mit einer weiteren Kontroverse.

„...noch der letzte literarische Versager, der schlechthin Ungeseg-nete kann jetzt seine baugesetzlich geschützte Modernität erweisen.“ (Rühmkorf, 1961)

Jetzt haben wir also eine richtige Literaturdebatte in Hamburg – mit Essay und Gegenessay, wie sich das gehört. In dieser Debatte gibt's leider ein Problem: In Carsten Klooks klugen Bemerkungen ist lediglich ganz allgemein, in Oliver Platz' Albernheiten überhaupt nicht mehr von Literatur selbst die Rede. Es geht ihnen – back to the eighties! – fast immer um die Szene; wobei Platz sich nicht einmal entblödet, andere die eigene Szene-Fixiertheit entgelten zu lassen.

Daß er zudem jeden Kritiker mit Hilfe psychopathologischer Begriffe wegsperren will, war noch zu erwarten: Der alte Trick. Daß Platz sich nicht einmal für die Peinlichkeit zu schade war, ein „Ausgesperrtsein des Autors“ (durch die böseböse Verleger/Lektor/Kritiker-Mafia natürlich) zu konstatieren, war hingegen abenteuerlich: Wann denn, bitteschön, sind junge Autoren und Autorinnen umhätschelter gewesen als heute, wann gab es mehr Förderung, wann mehr inszenierte Aufmerksamkeit? Mama Weiss richtet's Euch doch!

Dennoch ist der Frust, den Oliver Platz anderen aufschwatzen will, schon sein eigener; es geht nicht recht voran. Nur hat das nichts mit der Szene zu tun – die ist eitel und öde, ist kritisierbar wie immer, und wenn schon! (Hier eben verwechselt auch Klook zum Teil Ursache und Wirkung.) Sondern mit der Literatur, die heute geschrieben wird und die außerhalb der Gemeinde keinen mehr interessiert. Diese Literatur selbst wäre radikal zu diskutieren – und zwar wider alle durchsichtig motivierten Wertungsverbote.

Worum geht es?

„das durcheinander der worte zurück in meinen kopf – und/vorm ichbinnochbruch ein/letztes mal ich, dem eingesagt wird: kein du ohne sollbruchstelle. bist/du das? das wäre einer anderen frage grammatik!/oder da, wo alle wahrheit ein konspirativ ist“.

Das ist – sehr unfrei nach Gernhardt – ein Gedicht, das ich mühelos aus Texten von Jäckle, Bonné, Göritz und Habeck herbeimontiert habe. Darum geht es!

Nicht, daß die Gedichte der Genannten schlecht wären. Sie sind es ja nicht. Alle haben ihre Moderne rezipiert, alle wissen so in etwa, wie ein Gedicht aufgebaut wird, da wird schon solide gearbeitet – und vorhersehbar! Immer ist da irgendein Ich (Gegenich o.ä.), das nicht so „heimwachsen“ kann wie die es umgebende Landschaft, irgendein Du kommt dazu – das Treffen mißlingt zum Teil –, da tummeln sich irgendwo Wölfe, das mit der Sprache ist unklar (so irgendwie). Und irgendwie ist das alles ja auch ganz richtig, nur lasen wir das im Original härter, genauer und vor allem kürzer!

Nach bekannten Bastelanweisungen herbeidesignte Irgendwiegedichte, identisch in ihrer Beliebigkeit, ohne jedes Gefühl für das Problem von uns Nachgeborenen: Nämlich alles zu Ende gedacht und nichts erreicht zu haben. Anstatt noch einmal den widerlegten Irrsinn namens Liebe zu besingen (zu unser aller Überraschung lieben wir im Jahr 100 nach Freud ja immer noch), anstatt hier Spannungen zu gewinnen für ein radikales „Na und!“, taumeln diese Gedichte nur noch „der Traurigkeit hinterher“, wie es bei Göritz unfreiwillig komisch heißt. Zu allem Überfluß läßt sich diese Literatur auch noch zum Dernier Cri ausrufen. „Neuartig“ schreibt der gesamte Ziegel und nimmt's dabei mit der Literaturgeschichte nicht so genau. Besonders peinlich und schamlos kommt das bei der im neuen Ziegel reich dokumentierten Fichte-Preis-Verleihung an Ginka Steinwachs zum Ausdruck.

Dort attestieren Regula Venske und Christina Weiss – hoffentlich wider besseres Wissen! – Steinwachs' Literatur (deren Mittel nun wirklich sämtlich seit 6 Jahrzehnten auf dem Markt zu haben sind) „Originalität“. Wem glauben die beiden damit zu Gefallen gewesen zu sein? Der deutschsprachigen Literatur bestimmt nicht.

Nicht, daß das alles neu wäre oder auf Hamburg beschränkt. Aber wehe, einer sagt einfach mal: „Schluß! Aus! Absetzen diese Schmierenkomödie!“ Wehe, einer fordert die radikale Literatur anstelle der nie ganz guten, nie ganz schlechten kleinen. Der stört dann beim Weitermachen. Aber bitte: Soll er doch seine karrierefördernden Ich-Fragilitäten im fünften Aufguß, seine angelesene Entfremdung und seinen Baudrillard ins Gedicht packen... und soll er das ganze mit einem semantisch verfälschten Kafka-Zitat garnieren.

Nur ernst zu nehmen ist dieses vorhersagbare Spiel nicht mehr. Uns fehlen noch: das 762ste „Hirn/weg/da/nichtHirn/weg“-Gedicht, die 834ste bei Woolf abzuschreibende Bewußtseinsstromprosa, das 891ste „wORTlosungenau“-Experiment. Der nächste Ziegel kommt bestimmt. Es darf weitergewurstelt werden.

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