piwik no script img

Sozialistischer Dandy, pazifistischer Retter

Am morgigen Sonntag wäre Wilfrid Israel hundert Jahre alt geworden. Der jüdische Kaufhauserbe und Schöngeist zählte in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren zu den innovativsten deutschen Unternehmern. Nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 verhalf er vor allem jüdischen Kindern und Jugendlichen zur Ausreise aus Deutschland. Heute ist er nahezu vergessen  ■ Von Martin Forberg

Ausgrabungen finden normalerweise in weit entfernten Ländern statt, aber die Bürger Berlins können zu Hause, im Zentrum der Stadt, die Fundamente eines Gebäudes entdecken, das über 125 Jahre lang in ganz Deutschland bekannt war.“ So heißt es in einem 1970 erschienenen englischsprachigen Artikel zum Gedenken an Wilfrid Israel. Der Autor, Werner Behr, hatte als Prokurist im Kaufhaus „N. Israel“ gearbeitet – in jenem Gebäude gegenüber dem Berliner Rathaus, das heute kaum noch jemand kennt. Beinahe so unbekannt wie das renommierte Familienunternehmen am Rand des Nikolaiviertels ist auch dessen letzter Direktor Wilfrid Israel, der am 11. Juli 1999 hundert Jahre alt geworden wäre. Er starb am 1. Juni 1943 über dem Golf von Biscaya: Das Flugzeug, in dem er saß, wurde von deutschen Jagdfliegern abgeschossen.

Der knapp 44jährige hatte in den Monaten zuvor in Portugal versucht, Fluchtwege für jüdische Jugendliche und Kinder aus Südosteuropa zu finden. Albert Einstein nannte ihn ein „lebendes Kunstwerk“ und schrieb an Israel, er habe das Gefühl nicht loswerden können, „daß Sie für diese Welt zu gut seien“.

Wilfrid Israel verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Berlin, ging 1939 ins Exil in seine Geburtsstadt London und wäre gern ein Bildhauer in Palästina geworden. Seine Spuren sind dünn gesät. Auch die Wilfrid-Israel-Biographie der britischen Journalistin Naomi Shepherd ist längst vergriffen. 1939 tauchte der Kaufhauserbe unter anderem Namen in dem Roman „Goodbye to Berlin“ von Stephen Isherwood auf. Dadurch hat er auch Eingang in das Musical „Cabaret“ gefunden, das auf Isherwoods Roman basiert. Mit der Figur des Bernhard Landauer führte Isherwood einen reichen Dandy vor, dem das Leben endlos langweilig und der Aufstieg des Nationalsozialismus gleichgültig ist.

Wilfrid Israel, die reale Person hinter „Bernhard Landauer“, hat nicht nur frühzeitig die Gefahr des Nationalsozialismus erkannt. Er vertrat schon 1932 die Ansicht, daß nur eine spektakuläre Aktion der deutschen Juden die internationale Öffentlichkeit gegen Hitler mobilisieren könne. Seit seiner Jugend war der Pazifist und Sozialist ein hochpolitischer Mensch – von Gleichgültigkeit keine Spur. Später hat Isherwood seine Darstellung Wilfrid Israels damit begründet, daß ihn – den homosexuellen Schriftsteller – die Verschwiegenheit aufgebracht habe, mit der Israel seine Homosexualität ummäntelte. Aber der Millionärssohn, wegen seiner politischen Einstellungen ohnehin eine Art Enfant terrible in seiner bürgerlichen Umgebung, konnte es sich nicht leisten, seine Liebe zu jungen Männern offen zu bekennen.

Isherwoods Roman weist dennoch einen authentischen Weg zu Wilfrid Israel: Am Bett des Bernhard Landauer steht ein Buddha aus Sandstein. Das Original kann man im Wilfrid Israel Museum of Oriental Art and Studies im Kibbuz Hazorea, nicht weit entfernt von der israelischen Hafenstadt Haifa, bewundern. Wie kommt die fernöstliche Skulpturensammlung eines wohlhabenden Kunstsammlers in den Kibbuz? Dafür gibt es zwei Gründe: Wilfrid Israel fühlte sich der jüdischen Jugendbewegung der Werkleute politisch verbunden. Die Werkleute hatten in den dreißiger Jahren den Kibbuz Hazorea gegründet. Er teilte mit ihnen die Begeisterung für die Ideen von Martin Buber: Reform der Gesellschaft durch die Jugendbewegung, Sozialismus auf der Basis genossenschaftlichen Gemeinwesens, eine jüdische Renaissance in Palästina und Dialog mit der Umgebung, auch mit den Arabern.

In den Kibbuz Hazorea wurde Wilfrid Israel bei einem Besuch 1940 aufgenommen. 1943, kurz vor seiner letzten Reise, vermachte er seine Skulpturen den Genossen in Palästina. Der Weltbürger Wilfrid Israel hat nicht einfach gesammelt, was gut und teuer war, sondern nach den Verbindungspunkten zwischen den Kulturen gesucht.

Er wollte „Brücken zwischen dem Westen und dem Osten finden“, meint die 83jährige Hanna Oppenheimer, die heute im Archiv von Hazorea arbeitet. Auch dafür steht die Sammlung aus China, Kambodscha, dem Iran und Indien, die den Grundstock für das Kunstmuseum in Hazorea bildet. 1925 stieg Wilfrid gemeinsam mit seinem Bruder Herbert aktiv in die Leitung des Kaufhauses N. Israel ein. Statt der ungeliebten Aufgabe aus dem Weg zu gehen, drückte er der Firma seinen sanften Stempel auf: Martin Bubers „dialogisches Prinzip“ hielt Einzug in das Gebäude mit den beiden monumentalen Lichthöfen: Wilfrid Israel kannte bald alle zweitausend Angestellten, er kümmerte sich um die Sorgen von Kassiererinnen und Liftboys fast mehr als um die Beschwerden der Abteilungsleiter. In der von ihm gegründeten Handelsschule verwirklichte Israel seine Vorstellungen von Reformpädagogik: Hierarchien wurden abgebaut, die Schüler bekamen eine praktische und theoretische Ausbildung in verschiedenen Berufssparten.

Nach dem 30. Januar 1933 wurde das Kaufhaus N. Israel zu einem Symbol der Selbstbehauptung der deutschen Juden. Wilfrid Israel widerstand vielfältigem Druck; mehrfach wurde er verhaftet und mißhandelt. Nach den Pogromen vom November 1938 „kaufte“ er jüdische Mitarbeiter aus dem KZ Sachsenhausen „frei“, indem er dem Lagerkommandanten unbeschränkten Kredit im Kaufhaus einräumte. Ende 1938 mußte es auf Druck der Nazis für einen Bruchteil seines Wertes verkauft werden.

Im selben Jahr hatte Israel zusammen mit seinen Partnern in der Rettungsarbeit geradezu fieberhafte Aktivitäten entwikkelt. Er selbst war eines der aktivsten Mitglieder des Hilfsvereins der deutschen Juden. Zusammen mit den christlichen Quäkern und anderen Helfern gelang es ihm 1938, etwa 10.000 jüdische Kinder nach Großbritannien zu bringen.

Zur gleichen Zeit arbeitete Wilfrid Israel eng mit einem britischen Konsularbeamten in Berlin zusammen, um Menschen in Sicherheit zu bringen: Frank Foley stellte die Visa aus, Wilfrid Israel brachte die Finanzmittel auf und hielt den Kontakt zu Unterstützern im Ausland. Sein Mitarbeiter Hubert Pollack besorgte Papiere von deutschen Beamten. Nach seiner Auswanderung im Jahr 1939 setzte Israel die Rettungsarbeit fort.

Israel kämpfte sein Leben lang gegen jenen „gefährlichen Pessimismus“, der zum Nichtstun verurteilt, wo Handeln notwendig ist. Anders als viele Zeitgenossen stellte er sich der Realität des Holocaust: Er erkannte früh den Zusammenhang zwischen Deportationen und Massenmord. Auch wenn er manchmal nicht mehr die „Kraft aufbrachte, Gerechtigkeit gegenüber den Deutschen zu üben“, blieb er dennoch seiner „Grundüberzeugung treu, daß die Nazi-Partei und die mit ihr verbundenen Organisationen ihren großen Eroberungsfeldzug damit begannen, Deutschland 1933 zu besetzen und zu unterwerfen“. Das schrieb er noch Ende 1942. Und er blieb dem Pazifismus seiner Jugendjahre treu: Das „Dritte Reich“ war für ihn vor allem „eine Koalition von Reichswehr und Nationalsozialisten“. Er lehnte jede Verharmlosung des Militärs nach dem Motto „Die Reichswehr ist besser als die Nazis“ strikt ab.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1943 hat Wilfrid Israel auch zur politischen Entwicklung in Palästina Stellung genommen. Die Politik des späteren israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion war ihm suspekt: „Als ich mich mit Ben Gurion unterhielt, hatte ich das Gefühl, daß er einer von jenen Fanatikern ohne wahren Glauben ist“, heißt es in einem Brief von 1942. Er fürchtete, eine reine Machtpolitik führe unweigerlich zu tiefen Konflikten mit den Arabern. „Meine persönliche, vielleicht sehr einfältige Meinung ist, daß wir weiterhin versuchen sollten, in den nächsten fünfzig Jahren Palästina aufzubauen ohne allzu große Ansprüche, aber mit Selbstvertrauen.“

Im Kibbuz Hazorea soll im September mit einer Veranstaltung an Wilfrid Israels hundertsten Geburtstag erinnert werden. In Berlin sind keine Feiern geplant.

Martin Forberg, 41, ist freier Journalist und Dozent in der Erwachsenenbildung in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und Einwanderung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen