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Tomaten statt der roten Wasserbälle

Vor etwa 15 Jahren fanden Hollands pfiffige Bauern eine neue Einnahmequelle: Statt weiter Gemüseberge zu produzieren, die ihnen kein Europäer abkaufen wollte, pflanzten sie Cannabis in ihre Gewächshäuser und professionalisierten den Anbau. Wie zuvor schon die Tomate erwischte die Geschmacksverirrung auch die Cannabispflanze. Und nicht nur das: Auf dem hiesigen Haschischmarkt findet sich nichts mehr als „Skunk“, die Turbodroge. Das kann politisch nicht korrekt sein. EineVerteidigung des Hanfs gegen eine Reproduzierbarkeit  ■ von Otto Frankfurter und Hans Hamburger

Love Parade. Der süße, widerliche Geruch frischer Leichen liegt über Berlin. Ein mittelschwerer Chemieunfall? Belgrad nach der dritten Cruise-Missile-Welle? Nein, was da stinkt heißt gemeinhin Skunk und soll Cannabis sein. Die ungezählten Joints und Pfeifen mit dem Brutkastendope gehören zur Love Parade wie das Zittern des Zwerchfells unter der Wucht der Baßattacken und die schönen, bunten TänzerInnen, die ihr großes Freak-out feiern. Sie haben kiloweise in die Stadt geschleppt, was ihnen in Bochum, Rostock oder Frankfurt als Hanf verkauft worden ist, und sie werden nicht ruhen, bis sie nur noch die Tüte für die Rückfahrt übrig haben. Wohl bekomm's!

Was heute direkt aus Indoor-Zuchtanlagen in Leeuwarden, Neumünster und Chemnitz in die Rauchgeräte gestopft wird, kam einst aus dem Hanfgürtel der Erde: aus Thailand, Indien, Afghanistan, der Türkei und dem Libanon in Asien, aus Marokko, Nigeria und Südafrika auf dem Schwarzen Kontinent und jenseits des Atlantiks aus Kolumbien und Mexiko.

Auch wenn der große Profit in nördlichen Breitengraden blieb, war der rauchbare Hanf doch der hornhautstarrende Fuß der Dritten Welt in der Tür westlicher Märkte, regnete ein Tropfen des Umsatzes auch auf die Täler des Himalaja und das marokkanische Rif. Keine andere Pflanze – von Koka und Mohn einmal abgesehen – brachte einen besseren Ertrag. Doch der Turbohanf, von Hochvoltlampen mehrfach jährlich aus Nährböden getrieben statt unter der subtropischen Sonne herangereift, wird heute nicht mehr in Baht, Rupien oder Pesos, sondern in Gulden oder Mark bezahlt.

Der Wandel begann grau und unauffällig. Schlecht kopierte Leitfäden zum Selbstanbau waren seine Vorboten. Das Ergebnis der Bemühungen war je nach dem Breitengrad, auf dem sie unternommen wurden, gelegentlich mit dem Original vergleichbar, in Deutschland aber, nördlich der Mainlinie, nur mit tuberkulösen Hustenanfällen zu rauchen, davon abgesehen aber ohne bemerkenswerte Wirkung. Vor etwa 15 Jahren begann Hollands findige Bauernschaft die Methoden zu professionalisieren und angesichts der chronischen europäischen Agrarkrise die Gewächshäuser umzunutzen.

Ursprünglich kam diese Produktionsmethode aus den USA. Günter Amendt, langjähriger Kenner der Drogenmaterie, hat in „Sucht Profit Sucht“ die „Marihuana Krise“ beschrieben, mit der Ende der sechziger Jahre plötzlich eine Versorgungslücke von 1.000 Tonnen in den US-Markt gerissen wurde, was die Farmer des Landes auf den Marihuanamarkt rief, von dem sie seitdem nicht mehr zu vertreiben sind. Mitte der achtziger Jahre hatte sich ihr Umsatz bereits auf geschätzte 8,2 Milliarden Dollar getürmt, allein in Kalifornien lebten 6.000 Landwirtschaftsbetriebe von der Sinsemilla-Produktion. Die Holländer pflanzten die kalifornischen Freilandsorten in friesische Gewächshäuser, bastelten eifrig an den Hybriden herum und beliefern heute „praktisch die ganze Welt mit dem für den Cannabisanbau benötigten Material“, so der Koordinator für Forschung und Entwicklung der niederländischen Kriminalpolizei in einem Aufsatz für die Zeitschrift der Polizei in diesem Frühjahr. Das ist zwar ein bißchen zuviel der Ehre, aber nur ein kleines bißchen.

Seinem durchdringenden Geruch nach erhielt der Stoff den Namen Skunk, das arme Tier wurde nicht gefragt. Manchmal heißt es auch Nederweet, was der Sache schon näherkommt. Der Wirkstoffgehalt liegt bei 15 Prozent und höher gegenüber allenfalls 12 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC), der in Freilandpflanzen nachgewiesen wird. Mit zwei bis drei Ernten pro Jahr liegen die Produktionskosten – trotz des gigantischen Stromverbrauchs – per Gramm bei nur vier Gulden. Damit nicht genug: Niederländische Samenbanken mendelten wüst das genetische Cannabis-sativa-Material aus Ost und West zusammen, kreierten im Labor neue Kombisorten und drehten sie den Kunden wohlklingend als „Purple Haze“ (Hendrix, vergib ihnen nicht!), „Northern Light“ oder „Jack Herrer“ und bestimmt ganz „hej lekker“ an. Neben unverschämten Preisen für die Samen ließen sie bald auch mit Paraphernalien die Kassen der Head Shops klingeln: Lampen, Nährböden, Bewässerungssysteme, Dünger und Anbautips, fast alles im Gartenfachgeschäft für weniger Geld zu bekommen. Der holländische Sensi-Seed-Bank-Konzern ist heute beinah Monopolist.

Kein Mensch würde freiwillig dieses Holzhammerdope kaufen, wäre die Marktlage für Überseeprodukte nicht so schlecht – zeitweilig ist selbst in Amsterdams Coffee Shops kein gutes Marihuana zu erhalten. Der globale war on drugs hat mitnichten die Handelswege für Heroin und Kokain zerschlagen, dafür aber Hanf zu einer seltenen Ware gemacht.

Erinnert sich noch irgendwer an nepalesische Templeballs? Schimmelafghan? Den harten, graugrünen Türken? Durban Grass? Leckere Thai-Sticks? Triefendes kolumbianisches Gras? Nein? Lange nicht mehr oder gar noch nie gesehen? Eben! Natürlich war auch zuvor nicht alles rauchbar, was aus diesen Ländern kam. Quasi wirkungsloser Libanese beherrschte lange Zeit den deutschen Markt, und ältere Kiffer werden sich auch noch an ein Produkt aus der Werkstatt pakistanischer Totalfälscher erinnern: schwarz wie Schuhcreme, Geruch wie Schuhcreme, aber selbst als Schuhcreme nicht zu gebrauchen. Aber es gab auch immer wieder Überraschungen, Gras und Haschisch, wie sie sein können: seidig, inspirierend, erhebend und gut für ganze Lachsalvengewitter; wahlweise mit den Wirkungen „high“ oder „stoned“. – Manchmal, etwa in kleinen Amsterdamer Coffee Shops, sind sie noch zu haben, wenn auch immer seltener und sündhaft teuer. Denn an Europas Außengrenzen bleiben ganze Schiffsladungen Cannabis im Netz der Drogenabwehr hängen, weil es nun mal nicht so unauffällig wie Heroin und Kokain zu transportieren ist.

Und da die Nachfrage in Mitteleuropa bald zur Hälfte mit Treibhaus- und home-grown Skunk befriedigt wird, müssen mehr und mehr Hanfbauern in vielen Dritte-Welt-Ländern ein halbwegs ertragreiches Exportgeschäft aufgeben. Skunk vernichtet diese Arbeitsplätze. Zumal die Bauern sowieso vor DEA-Satelliten und lokaler Polizei nur schwer ihre Felder tarnen können. Damit sterben jahrhundertealte Anbau- und Verarbeitungsmethoden aus, die, zugegeben, nicht unbedingt mitteleuropäischen Arbeitsschutzgesetzen genügen. Wie viele Hanfbauern ihr Handwerk fahrenlassen mußten und zu Produzenten des Heroingrundstoffs Opium wurden, sagt uns keine UN-Statistik. Die Logik des Marktes legt nahe, daß es gewiß nicht wenige sind. Jedenfalls folgt dem Hanf nicht selten Mohn oder Koka, deren Anbau ökologischen Raubbau und schwerbewaffnete Gangsterbanden nach sich ziehen.

Die Globalisierung des Cannabis-Welthandels ist kaum aufzuhalten, ein Sortenschutzprogramm müßte allerdings noch möglich sein. Und die Sensi-Seed-Bank, eifrige Samenaufkäuferin im Hanfgürtel, könnte nebenbei eine genetische Samenbank unterhalten für Länder, in denen in absehbarer Zukunft Hanf wieder halbwegs legal und lohnend angebaut werden kann. Voraussetzung ist gezieltes Kundeninteresse, das den Handel mit Cannabis aus aller Welt am Leben hält.

Der bundesdeutsche Binnenmarkt ist für fünfzig Tonnen Jahresumsatz gut, damit läßt sich schon auf dem einen oder anderen Landstrich Hanf kultivieren und auf einem halbwegs fairen Drogenbasar absetzen. Auch die Vereinten Nationen sollten überlegen, ob nicht ein sinnvolles Substitutionsprogramm für Mohn- oder Kokabauern darin läge, sie zum Hanfanbau zu ermuntern. Heute wird ihnen zur Erdbeere geraten, aber Erdbeeren bauen die Industrieländer selbst an und oft gar nicht schlecht. – Das ist Zukunftsmusik, natürlich, aber wir wähnen Geschmack und Vernunft auf unserer Seite. Das Interesse rührt nicht allein aus Genußsucht oder Feinschmeckerei, es geht um Natur statt Labor und Kultur statt Kopie. Denn die genetische Mixtur Netherweed hat auch kräftig die Phänomenologie des Hanfrausches verhunzt; aus Laborgläsern nachgestylten Blubbergläsern direkt in die Lungenbläschen inhaliert, macht es matschig und breit – statt prikkelnd high oder herb stoned wie klassische Marihuana- und Haschischjoints. Die Hanfpflanze rächt sich, Zuchtauswahl fordert immer ihren Preis: Wer die Anbauzeit verkürzt, den Ertrag steigert und den Wirkstoffgehalt hochjagt, darf sich über unerwünschte Nebenwirkungen nicht wundern. Der Geschmack ist zum Teufel, der Drogencharakter stark verbogen. Die Komplexität der Wirkstoffe läßt sich eben nicht zugunsten eines Aspekts beeinflussen, ohne an anderer Stelle starke Verluste zu erleiden. Und Skunk ist nicht einmal billiger. – Allenfalls als Medizin mag Skunk seine Berechtigung behalten, denn Indoor-Anbau läßt Ernten mit konstantem Wirkstoffgehalt zu, Grundvoraussetzung für kontrollierte Einnahme bei Appetitlosigkeit und Erbrechenszuständen, den beiden wichtigsten Krankheitssymptomen, die sich mit Hanf gut behandeln lassen.

Vor Jahren verfluchte ein Streiflicht der Süddeutschen Zeitung den Augenblick, da Hollands Bauern beschlossen, Europa mit Tomaten zu überrollen. Der Autor ahnte noch nicht, daß das Nachfolgeprodukt der roten Wasserbälle aus Friesland Skunk heißen würde – das Stinktier unter den Genußmitteln.

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