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Füßescharren am Ufer der Spree

■  Neue taz-Serie „Mooslos durch den Sommer“ (Teil 1): Samstags erleben Tangotänzer ihr nächtliches Arkadien auf der Museumsinsel – direkt neben der Alten Nationalgalerie. Zu Musik aus der Konserve schwingen Tanzkundige elegant die Beine

Ein Ghettoblaster, eine Autobatterie und eine Astor-Piazzola-Kassette – mehr braucht es nicht, um Tangotänzer in den siebten Himmel zu befördern. Das ganze aufgestellt, wo Romantik und Alte Nationalgalerie sich gute Nacht sagen, samstags abends ab neun. Durch den hohen Säulengang auf der Museumsinsel knarzt die Musik wie aus Pablo Nerudas Grammophon. Dazu das Scharren der Füße von knapp 70 Tanzpaaren, die sich Wange an Wange durch den Mondschein schieben. Vom Alex blinkt der Fernsehturm, von der Spree weht eine laue Brise nach oben. Wenn es ein Arkadien der Tangogemeinde gibt, sieht es wohl so aus.

Und darum sind auch alle da. Zum nächtlichen Schwof wird sich herausgeputzt. Viel Lippenstift und Spaghettiträger, Wassermelone und Prosecco-Flasche sind im Picknickkorb. Zwischendurch gibt Marc aus Rußland eine kleine Live-Einlage auf seinem Akkordeon. Fehlen nur noch ein mottenzerfressenes Piano und schmalzlockige Geiger zum kompletten Tango-Overkill. Wenigstens beherrschen längst nicht alle die Schritte perfekt: Hier eine staksige Drehung, dort macht ein Jeansträger ein verkniffenes Gesicht, als seine Partnerin ihr Bein um sein Knie zwirbelt.

Kosten tut das Ganze nichts. Wer will, kann eine kleine Spende für die Stromversorgung bei Tangolehrer Constantin abliefern, der sich die Genehmigung für das Tanzen unter den Säulen geholt hat. So können nun Endfünfziger mit blonden Strähnchen genauso wie Studenten im Rasta-Look weiterhin ihre Sommerkleider ausführen, ohne vom Hausherrn, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, vertrieben zu werden. Wer Tango liebt, ist begeistert, wer nicht, dem geht die Tanzbande vom Roten Salon bis Podewil sowieso nicht erst seit dem Sommer auf die Nerven. Dennoch sollte der zumindest gucken kommen, wie Berlin auf schwüle Sommernacht in Buenos Aires macht. Beleidigt eine Bratwurst holen kann man sich dann immer noch. Denn vor dem Säulengang hat ein Gemüsehändler aus Mitte ein Campingtischchen aufgestellt, wo er und zwei alkoholisierte Kumpels Würstchen und Tomatensalat verkaufen. Gegen Tango haben die drei indes nichts einzuwenden, nur die männlichen Tänzer sind ihnen nicht geheuer: „Das sind immer so viele Schwule mit Gabardinemänteln.“ Kirsten Küppers ‚/B‘Tangotanzen im Säulengang neben der Alten Nationalgalerie, Bodestraße auf der Museumsinsel Mitte jeden ersten, zweiten und dritten Samstag im Monat ab 21 Uhr. Vor der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50 in Tiergarten ist immer sonntags Tangotanztag.

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