Ohne Spiegel den Blick betrachten

■ „Ich sehe, was du siehst“: Auf der zentralen Ausstellung der „1. triennale der photographie“ in den Deichtorhallen wird das Sehen anderer erlebbar gemacht

Die Realität der Fotografie verschwindet in der digitalen Manipulation. Doch fotografische Bilder feiern ihre Wiederauferstehung als offen deutbare Formen künstlerischer Bilderzeugung. Der technisch gestützte Blick geht weiter als je ein Auge reichte. Aber was das Auge erblickt, steht außerhalb der Möglichkeiten der Kontrolle. Foto scheint stets nur eine subjektive Spiegelung neben der anderen, deutbar erst im Kontext.

Wenn nun in der zentralen Ausstellung zur „1. triennale der photographie“ in den Deichtorhallen plötzlich ein großer Sendemast auftaucht, geht es in der Tat um ein Angebot von Vernetzung und möglicher Kontrolle. Denn mittels mobiler Computereinheiten des Projekts „(multi mind)“ wird das Spiel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ umgekehrt und mit reichlich technischem Aufwand zu „Ich sehe auch, was Du siehst – und wie Du es siehst“.

Mit auf der Schulter montierter Digitalkamera, einem seitlich in den Blickwinkel ragenden kleinen Bildschirm und einem sechs Kilo schweren Computerrucksack können sechzehn Ausstellungsbesucher ihren individuellen Rundgang und ihren eigenen Blick auf die Objekte und Mitbesucher für die anderen erlebbar machen. Und das funktioniert sowohl vernetzt untereinander, wie für die Außenstehenden, die vor dem Eingang auf einer Monitorreihe beobachten können, wie sich die Besucher-Agenten im Ausstellungssystem bewegen. Scheute man nicht die Telefonkosten, wäre sogar ein Direktzugriff auf diese Ausstellung des Sehens der Besucher mittels Internet von Zuhause überall auf der Welt möglich.

Für die Berliner Gruppe (kunst und technik), einen zehnköpfiger Zusammenschluß von Konstrukteuren aus Architektur, Kunst, Design und visueller Kommunikation, ist das Ganze der Test eines Prototyps oder eher noch die experimentelle Veröffentlichung einer Funktionsweise. Sich ohne Spiegel beim Betrachten zu betrachten ist sicher an sich schon ein reflexiver Akt, aber keiner von besonders überragender Tragweite. (kunst und technik) geben denn auch zu, daß die neue Form in der Kommunikation, die diese von ihnen bereitgestellten Möglichkeiten wirklich brauchen, selbst erst noch entwickelt werden muß. Insofern ist die Ratlosigkeit, was der Besucher mit der erhaltenen sechzehnkanäligen Information bloß anfangen soll, nicht nur negativ. Zu den Feedback-Schleifen der Bilder einer Ausstellung ist von den Benutzern eher eine frei sich erhebende experimentelle Phantasie gefragt, um zu zukünftigen Erlebnissen kommunikativen Kunstkonsums zu kommen. Denn letzlich sollte das Bewußtsein von den Zwecken nicht zu weit hinter der Potenz technischer Möglichkeiten zurückstehen.

Hajo Schiff

Deichtorhallen, bis 5. September. www.heimat.de/mm