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Das Feindbild Feindbild

■ Wie entsteht Rassismus und Ausgrenzung bei Kindern und Jugendlichen? Eine Tagung

Wie sehen die kindlichen Psychostrukturen aus, an die sich später fremdenfeindliche oder rassistische Ressentiments andocken können? Wie kann man dem entgegenwirken? Diesen Fragen widmete sich am vergangenen Wochenende an der Technischen Universität von Berlin die bewußt interdisziplinär angelegte Tagung „Sozialisation und Vorurteil“, veranstaltet vom „Berliner Arbeitskreis für Beziehungsanalyse“ und dem „Zentrum für Antisemitismusforschung“.

Die beiden Veranstalter wurden repräsentiert durch ein rühriges Ehepaar: Der Historiker Wolfgang Benz ist Leiter des TU-Zentrums für Antisemitismusforschung und als solcher prädestiniert für die Beobachtung historischer Kontinuitäten bei der Feindbildproduktion. Die Psychotherapeutin Ute Benz steht dem vor zwei Jahren gegründeten Berliner Arbeitskreis Beziehungsanalyse vor, der sich konzeptionell auf die Münchner Psychoanalytikerin Thea Bauriedl beruft. Bauriedls Beziehungsanalyse stellt nicht den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt anteilnehmender Beobachtung, sondern die Beziehungsmuster zwischen den Menschen.

Nach Bauriedl lernt jedes Kind schon sehr früh das Muster „zwei gegen einen“ kennen. Entweder, indem beide Eltern das „böse“ Kind strafend ausgrenzen, oder, indem ein Elternteil sich zusammen mit dem „lieben“ Kind gegen den anderen verbündet. Wer ständig ausgegrenzt werde, erlebe das bittere Gefühl der eigenen Wertlosigkeit und versuche das mit der Entwertung anderer zu kompensieren, so Thea Bauriedl. Eine weitere Variante hat Ute Benz bei zwei- und dreijährigen Kindern immer wieder beobachtet: „Der brennendste Wunsch jedes Kindes ist, einen allerbesten Freund zu haben, der genau gleich ist wie es selbst.“ Und schon sei der schönste Konflikt da, wenn die beiden Freunde in trauter Gleichheit versuchten, über den jeweils anderen zu bestimmen. Die Freundschaft könne nur gerettet werden, indem ein Dritter einbezogen werde, der den Bösen verkörpere.

Wilfried Seiring, Oberstudienrat und Mitglied des Humanistischen Verbandes Berlin, erkannte für die Westschulen in der Zeit nach 1945 nicht wenige Kontinuitäten: Ehemalige NazilehrerInnen seien an die Schulen zurückgekehrt und hätten an ihren SchülerInnen weiterhin „die Erziehung zum Gehorsam“ praktiziert. Die Erziehungsideale hätten sich erst mit der Studentenbewegung von 1968 dramatisch verändert, abzulesen an diversen Meinungsumfragen. Stand die alte preußische und danach nationalsozialistische Tugend des „Gehorsams“ noch 1966 für die befragten Mütter unangefochten auf Platz 1 ihrer Erziehungsziele, so war sie 1977 auf Platz 16 abgerutscht. Gleichzeitig machten auf das individuelle Glück bezogene Werte wie Selbstverwirklichung oder Durchsetzungsfähigkeit eine steile Karriere und erlebten in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt. Nunmehr aber habe sich die Sache halbwegs ausgependelt, zieh sich der Referent selbst des „Optimismus“.

Die von ihm zitierte Allensbach-Umfrage von 1996 zeigt: „Höflichkeit und gutes Benehmen“ nahm den ersten Platz der Erziehungsziele ein (82 Prozent der Befragten stimmten dem zu), gefolgt von „Arbeit ordentlich und gewissenhaft tun“ (77 Prozent), „sich durchsetzen“ (73 Prozent), „tolerant sein“ (70 Prozent).

Der in der DDR aufgewachsenen Erzieherin und Psychotherapeutin Annemarie Karutz gelang es, in ihrem Koreferat deutlich zu machen, daß die Entwicklung im Osten in gewisser Hinsicht genau umgekehrt verlief: Lockerungsübungen in den fünfziger und Betonierung der Verhältnisse in den sechziger Jahren. In den fünfziger Jahren, so die Referentin, habe „eine Aufbruchstimmung ohne Bezug zur Politik“ geherrscht. Wiewohl autoritäre Elemente in der Erziehung weiterhin vorhanden gewesen seien, habe allgemein doch die Überzeugung gegolten, daß Gewalt schädlich und sexuelle Aufklärung notwendig sei. Erst 1963 habe die SED mit ihrem neuen Programm eine umfassende Kontrolle aller Lebensweisen initiiert. Für die Kinderkrippen, die der Volksbildungsministerin Margot Honecker unterstanden, seien detaillierte Programme entworfen worden, welches Kind in welchem Alter was können muß: Sitzen mit sechs und Laufen mit zwölf Monaten, Stubenreinheit bis zum Ende des zweiten Lebensjahres.

Die Referentin bestätigte und präzisierte damit die umstrittenen Thesen des westdeutschen Kriminologen Christian Pfeiffer, der die Krippenerziehung als Mitursache für Fremdenfeindlichkeit sieht. Zur Entlastung von Eltern und ErzieherInnen habe die „schnellstmögliche motorische Selbständigkeit“ oberste Priorität genossen. Dafür aber hätten weder Kinder noch ErzieherInnen je gelernt, Gefühle und Konflikte zu thematisieren, weil es in einer sozialistischen Gesellschaft ja keine Konflikte gab. Die Einordnung ins Kollektiv sei oberstes Erziehungsziel gewesen. Ein Kind habe sich gut oder stolz gefühlt, wenn es dazugehörte, und zu Tode geschämt, wenn es in irgendeiner Weise von der Norm abwich. Diese Erziehung zu „bipolaren Feindbildern“, zur strikten Trennung zwischen den „guten“ Angepaßten und den „bösen“ Abweichlern, befand Karutz, „wirkt sich bis heute aus“.

Harte Anpassungsnormen und aggressive Ausgrenzungsmechanismen, darauf machte wiederum Ute Benz aufmerksam, herrschten und herrschen aber auch in westdeutschen Schulen. Sie zitierte die Aussagen einiger 18jähriger Jungen und Mädchen. Grundtenor: „Ich habe schon Feindbilder, aber ich weiß genau, ich darf sie nicht sagen, weil ich sonst als rechtsradikal gelte.“ „Wer zugibt, ein Feindbild zu haben, wird selbst ausgegrenzt und verfeindbildlicht.“

In Wirklichkeit aber haben wir natürlich alle Feindbilder, da waren sich die Tagungsteilnehmer einig, auch wenn sie sich manchmal raffiniert hinter Freundbildern verstecken. Ute Scheub

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