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Zwischen Bundesliga und Oktoberfest

■  In der Woche nach der Love Parade bleibt nicht nur der Müll, sondern auch ein mulmiges Gefühl: Der Mythos vom friedlichen Massenereignis hat Kratzer bekommen. Wo einst eine Minderheit tanzte, benebelt sich heute eine dumpfe Mehrheit mit Bier

Gestern diskutierte die Stadt wieder über den Müll. Der Baustadtrat des Bezirks zeigte sich einmal mehr pflichtgemäß „erschüttert“, wie „rücksichtslos“ die Raver im Tiergarten „gehaust“ hätten. Und die „Saturday Night Feger“ von der Stadtreinigung sammelten 200 Tonnen Abfälle ein und konnten so ihrer Imagekampagne neuen Auftrieb verschaffen.

Doch trotz dieser immergleichen Rituale – die Love Parade war anders in diesem Jahr. Ein Teilnehmer mit einem Messer erstochen, ein weiterer verletzt, zwei S-Bahn-Züge zerlegt, einen Regionalexpreß in Brand gesetzt, eine Frau am Rand der Parade mehrfach vergewaltigt, dazu eine Reihe von Unfällen mit einem Toten und Schwerverletzten: Der Mythos vom bewundernswert friedlichen Massenereignis hat einige Kratzer bekommen.

Die Techno-Kids, die einst zu Hunderten, später zu Hunderttausenden unter den damals verständnislosen Blicken der Mehrheit der Spaßkultur huldigten, sind mittlerweile hoffnungslos in der Minderheit – wenn sie sich nicht ohnehin mit Grausen abgewandt haben. An die Stelle der Großstadtjugend auf der Suche nach Neuem und anderem ist längst eine Landjugend getreten, die nur noch nach Masse und Mainstream giert.

Dem Christopher Street Day, der gerne mit der Love Parade verglichen wird, droht eine solche Entwicklung nicht. Das liegt in der Natur der Sache: Schließlich ist es eine Minderheit, die dort für einen Tag zur Mehrheit wird. Oder wie es ein Feuilletonist im Vorjahr formulierte: Während die Love Parade aufs Stammhirn zielt, ist der CSD eher ein Ereignis fürs Großhirn.

Bei der Love Parade ist an der karnevalistischen Maskerade nur noch wichtig, daß sie sich bis zum nächsten Arbeitstag entfernen läßt. Wehe, die grüne Haarfarbe läßt sich nicht bis Montag auswaschen.

Drogentechnisch dominiert längst nicht mehr die Raverpille Ecstasy, sondern der dumpfe Alkohol. Die Gerüche von Bier, Zigarettenrauch und Thüringer Bratwurst verbinden sich zu einem ekelerregenden Gemisch. Statt der makellosen Körper, die das Bild der Parade anfangs beherrschten, tragen immer mehr der – angeblich – anderthalb Millionen Teilnehmer schwabbelige Bierbäuche mit Sonnenbrand zur Schau. Es fehlt nicht mehr viel, und die Atmosphäre liegt irgendwo zwischen Fußballspiel und Oktoberfest.

Ginge es nur um dieses ästhetische Mißvergnügen, die Sache wäre halb so schlimm. Dann dürfte sich CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky ruhig über die „jungen, tanzenden Menschen“ freuen, die „als Botschafter der Fröhlichkeit von Berlin in alle Teile der Republik“ ausschwärmen. Und Bahn-Chef Ludewig dürfte getrost jubeln, daß sein Unternehmen „Hunderttausende junger Menschen schnell, bequem und sicher in die Hauptstadt“ brachte.

Doch am Rand des Spektakels waren auch weniger schöne Szenen zu beobachten. Erschrockene Pressefotografen entdeckten auf ihren Bildern „Blut und Ehre“-Tätowierungen. Und am Rand des Tiergartens waren Skinheads aus Brandenburg zu beobachten, die ihre Baseball-Schläger im Kofferraum verstauten. Diesmal noch ließen sie die Schlagstöcke im Auto. Ralph Bollmann

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