Klingelingeling, kommt hier wirklich der Eiermann?

■ Wie sich das Berliner Polizeiorchester anbot, zum Geburtstag des per Haftbefehl gesuchten Aktionspolitologen Kunzelmann aufzuspielen. Es war sein letzter Wunsch, bevor er sich gestern nacht seiner Strafe stellen wollte

Geburtstagswünsche sollte man, wenn irgend möglich, versuchen zu erfüllen – notfalls mit Tricks. Als sich der Aktionspolitologe und Altkommunarde Dieter Kunzelmann, der wegen zwei Eierwürfen auf Berlins Regierenden Bürgermeister per Haftbefehl gesucht wird, zu seinem heutigen 60. Geburtstag wünschte, daß das Berliner Polizeiorchester aufspielt, war schnell klar, daß das ein Wunsch bleiben würde. Deshalb griff die multikulturelle Blaskapelle IG Blech, die gestern nacht auf der angekündigten Feier im Kreuzberger Mehringhoftheater aufspielte, in die Trickkiste: Die Musiker wollten sich im Kostümverleih Uniformen besorgen und für Kunzelmann die Gesetzeshüter mimen. Weil die grünen Trachten die Polizei jedoch nur selbst verleiht – eine Mütze ist für fünf Mark am Tag plus Mehrwertsteuer zu haben, eine Jacke für 10,85 Mark plus Mehrwertsteuer –, schickten sie ein Fax an den Polizeipräsidenten mit der Bitte um 15 Polizeiuniformjacken und Mützen. Als Anlaß gaben sie eine „Aufführung in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli im Mehringhoftheater in Kreuzberg“ an.

Spätestens da hätten bei der Polizei die Alarmglocken läuten müssen. Denn seit Tagen wird in der Presse die nächtliche Geburtstagsfeier von Kunzelmann im Mehringhoftheater angekündigt. Im Morgengrauen, so die Jungle World, wollte sich Kunzelmann in Begleitung seiner Gäste zu einer der Berliner Haftanstalten bringen lassen, um seine elfmonatige Gefängnisstrafe für die Eierwürfe anzutreten.

Doch die Polizei schien keine Lunte zu riechen und dankte der IG Blech für ihr „freundliches Fax“. Weiter hieß es: „Leider können wir diesmal nicht helfen, da ein Verleih von 15 Polizeiuniformen den uns gesetzten Rahmen überschreitet“, schrieb die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Und dann bot sich die Polizei, ohne zu wissen, was sie tat, als Geburtstagsfee an. „Im übrigen stellt sich in diesem Umfang die Frage, ob hier nicht ein Einsatz des Polizeiorchesters in persona angezeigt gewesen wäre, denn am liebsten stellt sich die Polizei selbst dar“, endete das Fax. Die Musiker amüsierten sich köstlich und legten die Anfrage zu den Akten. Eine telefonische Anfrage der Polizei gestern vormittag, was denn nun aus dem Angebot werde, lehnten sie dankend ab.

Ob mit oder ohne Uniformen, der angekündigte Haftantritt beschäftigte gestern Polizei und Justiz. Die Justizsprecherin sagte zwar, daß ein nächtlicher Gang zum Gefängnis „nicht der übliche Weg“ sei, doch sie betonte, daß man Kunzelmann nicht den Gefallen tun werde, ihn vor verschlossenen Gefängnistoren stehenzulassen. „Wenn er kommen sollte, sind die Anstalten darauf vorbereitet“, hieß es. Auch der Lagedienst der Polizei – die Pressestelle war auf „Wandertag“ – versicherte, daß um Mitternacht Beamte im Mehringhof sein würden.

Der ehemalige APO-Aktivist Kunzelmann, der nach einer falschen Todesanzeige in der Berliner Zeitung im April vergangenen Jahres bis vor wenigen Wochen untergetaucht war, hat seit seiner „Wiederauferstehung“ die Polizei mit diversen Auftrittsankündigungen genarrt. Deshalb wurde der für gestern nacht angekündigte Haftantritt mit großer Spannung erwartet. Unter die Gratulanten wollte sich auch Kunzelmanns Anwalt, der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, mischen. Bevor er heute in seiner Funktion als Mitglied des Entwicklungshilfeausschusses zu einer einwöchigen Afrikareise aufbricht, wollte er es sich nicht nehmen lassen, Kunzelmann persönlich zu gratulieren. Denn immerhin sei es „ganz toll“ und „eine Verpflichtung“, an so einem Tag wie heute, dem Sturm auf die Bastille, geboren zu sein. Sein Wunsch für Kunzelmann: „Daß er gesund die Haft übersteht und daß allen seinen Wünschen Rechnung getragen wird.“

Kunzelmanns Opfer dagegen, der Regierende Bürgermeister, wollte sich gestern nicht zum Geburtstag seines Widersachers äußern. „Das geht an uns vorbei“, hieß es auf Nachfrage. 1993 hatte Kunzelmann dessen Wagen beim ersten Spatenstich am Postdamer Platz mit einem faulen Ei angegriffen und drei Jahre später bei der Verhandlung in erster Instanz ein Ei auf dessen Kopf zerschlagen und dabei gerufen „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann“. B. Bollwahn de Paez Casanova