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Riga verbaut sich Weg gen Westen

Ein Sprachgesetz, das die russische Minderheit diskriminiert, sorgt in Lettland für Streit. Politiker und Medien fordern die Staatschefin zum Veto auf  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Sie hätte sich sicher einen besseren Start gewünscht. Vaira Vike-Freiberga, die am Donnerstag vergangener Woche in Lettland das höchste Staatsamt übernommen hatte, steht bereits im Zentrum einer heftigen politischen Auseinandersetzung. Mehrere Abgeordnete, eine Vielzahl bekannter LettInnen aus Kultur und Wirtschaft und auch einige Medien haben die Staatspräsidentin aufgefordert, ein Gesetz nicht zu unterschreiben, welches das Parlament am Tag ihres Amtsantritts verabschiedet hat.

Stein des Anstoßes ist ein neues Sprachengesetz, das das Leben für die russische Eindrittelminderheit im Lande extrem erschweren würde. Denn diese dürften sich danach faktisch im gesamten Alltagsleben nur noch der lettischen Sprache bedienen, welche ab sofort Amts-, Verkehrs- und Geschäftssprache sein soll.

Im Juni vergangenen Jahres hatte das lettische Parlament – nicht ohne Druck seitens EU und OSZE – ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz verabschiedet, welches den RussInnen die Einbürgerung erleichtern sollte und für Erwachsene die Voraussetzung einer vorhergehenden Sprachprüfung abschaffte. Dieses Gesetz grenzte für die nationalistischen Parteien, an ihrer Spitze die national-konservative „Vaterland und Freiheit“, an Landesverrat. Als der Versuch, das Gesetz über eine Volksabstimmung zu kippen, die mit den Parlamentswahlen im Oktober 1998 abgehalten wurde, mißlang, wählte man den Weg durch die Hintertür: Ein Sprachgesetz wurde im Parlament eingebracht, welches den Zwang zum Lettischlernen für die 700.000 RussInnen über ansonsten unüberwindliche Probleme im Alltag erzwingen sollte.

Eine Mehrheit jenseits der Regierungskoalition für das Gesetz zu finden, war Vaterland und Freiheit so wichtig, daß man dafür die Beteiligung an der Minderheitskoalition unter Ministerpräsident Vilis Kristophans aufs Spiel setzte. Wegen „Geheimabsprachen eines Koalitionspartners“ trat dieser vor zwei Wochen zurück. Eine Woche später verabschiedete das Parlament mit 73 gegen 16 Stimmen das Sprachengesetz.

Was innenpolitisch ein Sieg des Populismus ist, könnte außenpolitisch eine kräftiger Bremsklotz auf dem Weg in Richtung Nato und EU werden. Von seinem französischen Amtskollegen Hubert Vedrine am Freitag in Paris auf das Gesetz angesprochen, hoffte (Noch-)Außenminister Valdis Birkavs, vielleicht könne das Gesetz schnell wieder geändert werden, „um Schwierigkeiten zu vermeiden“. Diese wären unvermeidlich, denn sowohl EU als OSZE hatten vor einem Jahr klar gemacht, daß eine solche Begrenzung die Grund- und Freiheitsrechte der russischen Minderheit verletze.

Auch Dänemarks Außenminister Nils Helveg Petersen warnte in Riga vor einer Inkraftsetzung des Gesetzes: Es könne sich als ernste Hürde für eine EU-Aufnahme erweisen. Die absolute Dominanz der lettischen Sprache trifft darüber hinaus sogar den Handelsverkehr mit dem Westen, da auch alle englischsprachigen Abkommen und Verträge verboten würden.

Am Freitag machte sich auch Moskau zum Fürsprecher der Rechte dieser Landsleute. Außenminister Igor Iwanow teilte mit, man habe Europarat und OSZE angerufen. Mit wirtschaftlichen Druckmitteln, die man anläßlich der letztjährigen Diskussion angekündigt hatte, wolle man nicht drohen. Am vergangenen Montag beauftragte Staatspräsidentin Vike-Freiberga den früheren Regierungschef Andris Skele mit der Bildung einer neuen Regierung, deren Ziel es sein solle „die Integration Lettlands in die EU und die Nato voranzutreiben“. In Skeles Regierung werden neben seiner Volkspartei auch Vaterland und Freiheit sowie „Lettlands Weg“ sitzen. Letztere beide haben bislang eine mögliche Revision des neuen Gesetzes zurückgewiesen.

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