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„Jeder soll mit jedem ficken“

Dann ist endlich Schluß mit der Rassendiskriminierung! Warren Beatty, Hollywoods hübschester Alt-Linker, rappt in „Bulworth“ als lebensmüder demokratischer! Politiker unbequeme Wahrheiten ins Publikum  ■   Von Thomas Klein

Eine schwarze Gemeinde in einer Kirche in South Central, Los Angeles, mitten im Vorwahlkampf 1996. Am Pult Senator Jay Bulworth, Kandidat der Demokraten, der hier einen obligaten Pressetermin durchspielen und dabei reichlich „I feel your pain!“ verströmen soll. Plötzlich das: „Die Hälfte eurer Kinder ist arbeitslos, die andere Hälfte ist im Knast, seht ihr irgendwo Demokraten, die etwas dagegen tun?“ Dann, nachdem er ihnen erklärt hat, daß Politiker niemals Leuten helfen, die ihnen kein Geld geben: „Was wollt ihr jetzt machen – Republikaner wählen?“ Der Saal tobt. „Wenn ihr nicht den Fusel und die Hähnchenkeulen weglegt, wenn ihr nicht aufhört, euch nur für Sportstars zu engagieren, die ihre Ehefrau erstechen, dann werdet ihr Leute wie mich nie los.“

Senator Bulworth ist in einer schweren Sinn- und Persönlichkeitskrise. Wohl wissend, daß er vom System längst korrumpiert ist, hat der ehemals engagierte linksliberale Politiker eine zehn Millionen Dollar schwere Lebensversicherung für seine Tochter abgeschlossen und dann einen Auftragsmörder engagiert, der ihn in drei Tagen liquidieren soll. Jetzt, da er nichts mehr zu verlieren hat, sprudeln aus Senator Bulworths Mund alle möglichen unbequemen kleinen Wahrheiten: Unternehmern erklärt er, sie wären verdorben durch „billige Arbeitskräfte, billiges Öl und billigen Sex“. In Hollywood bezeichnet er die Produkte der versammelten „reichen Juden“ als sinn- und wertlosen Schund.

Vielleicht ist Senator Bulworth nicht ganz bei sich, wenn er so etwas sagt, sich zwanghaft mit Essen vollstopft und, nachdem er der cleveren Gangsta-Braut Nina (Halle Berry) begegnet ist, anfängt, seine Botschaften sogar zu rappen. Aber der Wahlkampf-GAU ist Konzept, und der Wahnsinn hat Methode, denn Warren Beatty, Hauptdarsteller, Produzent, Autor und Regisseur von „Bulworth“, will aufrütteln. Wird ja auch Zeit! Das bei konservativen Gruppen immer noch als linke Kaderschmiede verschriene Hollywood – Totengräber heiliger Familienwerte und Verderber der Jugend – tut sich seit Jahren schwer mit politischem Kino. „Was man das Goldene Zeitalter des amerikanischen Films nennt, von den späten Sechzigern bis zu den späten Siebzigern, war eine wundervolle Zeit für das Kino und die Politik“, erklärte Beatty im New Yorker dem afroamerikanischen Intellektuellen Henry Louis Gates jr., „damals wußtest du nicht, daß du an der Kinokasse oder der Wahlkabine verlieren würdest, wenn du dich für das Richtige entschieden hast. Heute ist klar – du wirst verlieren.“

Auch ganz ohne romantische Verklärung der siebziger Jahre fällt auf, daß politische Themen in den amerikanischen Filmen der achtziger und neunziger Jahre fast wie Obszönitäten behandelt wurden. Kaum eine Spur von Korruption, sozialem Sprengstoff und der Lebenslüge einer Demokratie, die de facto die politischen Ämter nur finanzkräftigen Kandidaten der beiden Großparteien vorbehält.

Kein Vergleich zu den mehr oder weniger politisierten Streifen, die themen- und genreübergreifend in den siebziger Jahren die Kinos regierten. Zwischen Vietnam, Uni- und Innenstadtrevolten, freier Liebe und Emanzipationsbewegungen, Kent State und Watergate bildete sich ein „Kino der Paranoia“: der Staat als repressiver Unterdrückungsapparat, Polizei und Geheimdienste als Handlanger von Industrie, Wirtschaft und Kapital, „individuelle Freiheit“ als schönfärberische Umschreibung für Ausbeutung und Gleichschaltung. Daß den sozialkritischen Erkenntnissen in so disparaten Filmen wie „Die drei Tage des Condors“, „Der Dialog“, „Blue Collar“, „Jahr 2022 – Die überleben wollen“, „MASH“ oder auch „Superfly“ die Ära Reagan folgte, gehört zu den unappetitlicheren Ironien der Geschichte. In den Siebzigern war es vielleicht schick, kritisch zu sein; danach war es jedenfalls nur noch schick, schick zu sein.

Warren Beatty gehört wie Robert Redford, Ed Asner, Tim Robbins, John Sayles oder Susan Sarandon zu den bekennenden und bekannten Linksliberalen des amerikanischen Filmgeschäfts. Er hat politisch die Kennedys unterstützt, danach George Stanley McGovern, der gegen Nixon verlor, Gary Hart und schließlich Bill Clinton. Durch Leinwandaktionismus hat er sich jedoch nur selten hervorgetan. Der Star von „Bonnie und Clyde“ (1967) hat zwar 1974 auch einen klassischen (wenn auch offenbar verloren gegangenen) Paranoia-Thriller gedreht, Alan J. Pakulas „Zeuge einer Verschwörung“, doch es gibt nur einen Film, in dem Beatty seine politischen Überzeugungen – dies allerdings sehr deutlich – ins Kino brachte: „Reds“ (1981), sein episches Werk über die Oktoberrevolution und ihren Chronisten, den amerikanischen Sozialisten John Reed. Damals, wie jetzt bei „Bulworth“, hatte Beatty nicht nur die Hauptrolle, sondern auch alle wichtigen Funktionen hinter der Kamera übernommen und seine politische Partei- und Stellungnahme überraschend deutlich inszeniert. Die Absicht war ehrenwert, aber im Jahr 1 nach dem Amtsantritt eines anderen Schauspielers im Weißen Haus war es wohl schon zu spät. „Reds“ wurde rasch als spleeniges, nicht ganz uneitles Werk abgeheftet.

Meist ist Warren Beatty, der Politaktivist, im Hintergrund geblieben – hinter Warren Beatty, dem Filmstar, und Warren Beatty, dem Frauenhelden. Seine Filmographie nach „Reds“ liest sich wie eine Ansammlung verkrampfter Versuche, erfolgreich zu unterhalten: Die legendär unlustige und erfolglose Komödie „Ishtar“ gehört dazu wie das bonbonfarbene Debakel „Dick Tracy“, die Gangsterliebesgeschichte „Bugsy“ und der hierzulande nicht mal mehr aufgeführte „Love Affair“. Am ehesten ist wohl Beattys Auftritt in Madonnas Quasi-Doku „In Bed With Madonna“ haften geblieben: Ein gealterter Beau mit abgeblättertem Julio-Iglesias-Charme besucht seine junge Freundin hinter der Bühne und benimmt sich dabei wie ein genervter Erziehungsberechtigter.

Auch „Bulworth“ ist nicht frei von Eitelkeiten. Immerhin haben Drehbuchautor, Produzent und Regisseur dafür gesorgt, daß der mittlerweile 62jährige Hauptdarsteller um die Gunst der mindestens 30 Jahre jüngeren Halle Berry buhlen kann. Der Versuch, die schöne Afroamerikanerin als menschlichen Katalysator zu verkaufen, der den Senator auf den falschen, also richtigen Weg bringt, ist leider wenig überzeugend. Auch der dramaturgische Kunstgriff, Bulworth seine – zumindest für seinen Wahlkampfberater (Oliver Platt) – schmerzhaften Botschaften immer wieder rappen zu lassen, scheitert. Im New Yorker verteidigte Beatty die HipHop-Kultur als eine Kunstform, die den größten Respekt verdient. Seine Theorie, warum die Lyrics oft so sexistisch sind, ist auch nicht ohne: Darin komme die Wut der Ghettojungs zum Ausdruck, die von alleinerziehenden Müttern großgezogen wurden. Diese Motive in allen Ehren, doch leider: no flow. Senator Bulworth' Sprechgesang wirkt albern und droht momentweise, den gesamten Film zu versenken: „The airwaves would be worth seventy billion to the public today / If a moneygrabbin' Congress didn't give 'em away“ – eine durchaus berechtigte Kritik am Ausverkauf von Frequenzen an Medienimperien und sehr miese Lyrics.

Warum dieser Versuch eines weißen Senators, schwarze Kultur – und schwarze Frauen – zu übernehmen? Weil Beatty die noch immer angespannten Rassenverhältnisse in den USA als eine Wurzel des sozialen und politischen Bankrotts ausgemacht hat. Deshalb läßt er Bulworth bei einer Familie im Ghetto Schutz vor dem Profikiller suchen, deshalb zeigt er den örtlichen Chef-Gangsta und Drogendealer (Don Cheadle) als cleveren Analytiker der politischen Verhältnisse, der bei seinen jungen Laufburschen auch Aufklärungsarbeit leistet.

Einen Film über Rassenprobleme zu machen, erzählt Beatty im New Yorker, wäre ihm schon in den späten Sechzigern, nach Gesprächen mit James Baldwin und Alex Haley, in den Sinn gekommen. Dreißig Jahre später folgt nun der Film und serviert einen Lösungsvorschlag: „Das Rassenproblem kann nur gelöst werden, wenn jeder mit jedem fickt“, erklärt Bulworth einem Fernsehjournalisten. Trotz mittelmäßigem Skript, einer bemühten Inszenierung und einem albernen, berechenbaren Finale (das System kann sich keine Wahrheit leisten!), hat „Bulworth“ auch einen politischen Wert. Er zeigt deutlich, wie ängstlich und unpolitisch das übrige US-Kino ist.

Mit seiner rücksichtslosen Kritik am politischen System der USA belegt „Bulworth“ auch – wie zuvor schon der deutlich zynischere „Wag The Dog“ von Barry Levinson – die Unzufriedenheit bürgerlicher Liberaler und ehemals hoffnungsvoller Linker mit Bill Clinton. Daß sich „Slick Willie“ selbst in seiner zweiten Amtszeit, in der er sich um eine Wiederwahl keine Sorgen machen muß, auf konfrontationsfreie „Politik“ beschränkt, macht einige seiner Wähler ziemlich wütend – zumindest unter den amerikanischen Filmkritikern: „Warum kritisiert Clinton nicht die fetten Säcke mit ihren ,1.000 Dollar für eine Flasche Wein‘-Exzessen, ihre 250-Dollar-Zigarren, ihre versailleähnlichen Häuser“, fragte zum Beispiel die Filmkritikerin Margaret Carlson erbost im Time-Magazin.

Senator Jay Bulworth, der Anti-Clinton, gibt vor seinem Absturz in die zwanghafte Ehrlichkeit ein Wahlkampfmotto zum besten, das nicht von ungefähr an Clinton erinnert: „Wir stehen an der Türschwelle zu einem neuen Jahrtausend.“ Dann ist der Präsident vielleicht fort, aber auf einen Kandidaten wie Bulworth können die Amerikaner – und nicht nur sie – lange warten. „Bulworth“. Produktion, Regie, Buch: Warren Beatty. Musik: Ennio Morricone. Mit Warren Beatty, Halle Berry, Christine Baranski u. a. USA 1998, 108 Min.

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