Hoechst treibt per Fusion die Mitbestimmung aus

■ Aktionäre entscheiden heute über den Zusammenschluß mit Rhone-Poulenc. Nach der Fusion werden nur noch drei statt zehn Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sitzen

Berlin (taz) – Der Job wird kniffliger. Arnold Weber und seinen KollegInnen im Betriebsrat des Chemiekonzerns Hoechst fällt es demnächst schwerer, die Geschäfte des Vorstandes zu kontrollieren. Denn nach der Fusion mit dem Unternehmen Rhone-Poulenc, über die heute die AktionärInnen von Hoechst entscheiden, etabliert sich die gemeinsame Konzernzentrale in der französischen Stadt Straßburg. Und dort „läuft die Mitbestimmung nicht mehr nach deutschem Recht“, klagt Weber, der Vorsitzende des europäischen Betriebsrates von Hoechst.

In den Aufsichtsräten französischer Unternehmen sitzen weniger VertreterInnen der Beschäftigten, als es bundesdeutsche Gesetze vorschreiben. Die Folge: Drei Gewerkschafter müssen dort denselben Arbeitsaufwand leisten wie hierzulande zehn Abgesandte des Personals, wollen sie die Politik ihres Konzerns begleiten. Darunter könnte die demokratische Kontrolle der wirtschaftlichen Machtzentralen leiden, befürchtet Arnold Weber. Mit dem Hoechst-Vorstand will er nun verhandeln, daß die Mitbestimmung in Straßburg den bundesdeutschen Verhältnissen zumindest nahekommt.

Die neue Zentrale in Straßburg wird ein Unternehmen befehligen, das sich dann „Aventis“ nennt – ein Kunstwort, das an „Ankunft“ erinnert. Als weltgrößter Anbieter von Arzneimitteln und landwirtschaftlicher Biotechnik beschäftigt der Koloß rund 95.000 Menschen. Der Umsatz liegt zusammen bei etwa 35 Milliarden Mark im Jahr.

Die AktionärInnen der französischen Firma Rhone-Poulenc haben die Fusion am vergangenen Dienstag bereits mit 99,5 Prozent der Stimmen abgesegnet. Als sicher gilt auch die Zustimmung der BesitzerInnen von Hoechst, von denen mindestens drei Viertel für den Zusammenschluß votieren müssen. Lange Zeit hatte es nicht danach ausgesehen. Besonders die kuwaitische Ölgesellschaft KPC, die 24,5 Prozent Aktienanteil an Hoechst hält, beschwerte sich mal über mangelnde Information durch den Vorstand, mal über schlechte Profitaussichten, dann wieder über zu geringen Einfluß im fusionierten Konzern. Schließlich setzten die Anteilseigner von Hoechst durch, daß ihnen 53 Prozent des Giganten gehören.

Wo fusioniert wird, fallen Stellen. Französische und deutsche Gewerkschafter demonstrierten in Paris und Lyon kürzlich gemeinsam gegen die befürchtete Vernichtung von 11.000 Jobs. Diese Zahl war im vergangenen Februar als angebliche Empfehlung einer US-Beratungsfirma durchgesikkert, die Hoechst beauftragt hatte. Der Vorstand sagte damals nichts Konkretes, hatte aber schon in seinem Weihnachtsbrief 1998 vorgewarnt, daß es zur Schließung von Anlagen kommen könne.

Wen es trifft, wird man in den nächsten Monaten erfahren. Klar sind bereits Randerscheinungen wie die Verlagerung der Agrevo-Zentrale von Berlin nach Frankfurt und Lyon. Agrevo ist eine gemeinsame Tochter von Hoechst und Schering, die weltweit gentechnisch veränderte Pflanzen und dazu passende Unkrautvertilger verkauft. Der Hoechst-Vorstand bereitete die Fusion in den vergangenen Jahren vor, in dem er die traditionellen Sparten der Industriechemie in die neue Celanese AG auslagerte und dadurch den Konzern erheblich attraktiver für mögliche Partner machte.

Hannes Koch

Es könne zur Stillegung von Anlagen kommen, warnte der Vorstand im Weihnachtsbrief. Wen es trifft, wird man in den nächsten Monaten erfahren