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Revolutionstag: Kein Grund zu Feiern

Am 19. Juli wird in Nicaragua der 20. Jahrestag der Vertreibung des Diktators Somoza gefeiert, in sandinistischer Diktion schlicht „el triunfo“ genannt. Dabei gibt es für Triumphgefühle wenig Anlaß. Das Volk hat sich einen Präsidenten gesucht, der es Somoza an Raffgier und Zynismus gleichzutun sucht. Und die Sandinistische Befreiungsfront schaltet sich als Hoffnungsträger selbst aus  ■ Von Ralf Leonhard

Die Zeiten, als der Barde Luis Enrique Mejia Godoy die Massen zum Toben brachte, wenn er die Ballade an den romantisch verklärten Parteigründer Carlos Fonseca Amador anstimmte, als die Parteijugend sich die lange Wartezeit mit dem Bau von Menschenpyramiden vertrieb und diejenigen, die nicht kommen konnten, zumindest live im Fernsehen verfolgten, was Daniel Ortega zu sagen hatte, die Zeiten sind lange vorbei.

Die Brüder Mejia Godoy, die früher für Stimmung sorgten, haben wie die meisten Künstler und Intellektuellen, die mit dem Schriftsteller und ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramirez die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) gründeten, der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) den Rücken gekehrt; die Jugendlichen haben kaum noch Erinnerungen an die Zeit der Revolution, und für den Großteil der Bevölkerung ist der 19. Juli bestenfalls ein willkommener Feiertag, dessen Abschaffung die Wirtschaft schon lange fordert. Man kann vielmehr davon ausgehen, daß Daniel Ortega einmal mehr mit verärgerten Sprechchören und Transparenten „No al pacto“ konfrontiert sein wird, wenn seine Sicherheitsleute die Störenfriede nicht rechtzeitig abdrängen können.

„El pacto“, das sind die äußerst unpopulären Verhandlungen zwischen Ortega und Präsident Arnoldo Alemán, mit denen die beiden Caudillos ihre Macht zementieren wollen. Statt sich vehement der Privatisierung von Unterricht und Gesundheit zu widersetzen oder sich dem Kampf gegen die wuchernde Korruption anzuschließen, rettet Daniel Ortega den Kopf des Präsidenten, der seit seiner kläglichen Rolle während der Hurrikankatastrophe im Vorjahr schwer angeschlagen ist und von einem Skandal in den anderen torkelt. Im Gegenzug in diesem für die sandinistische Basis völlig unverständlichen Kuhhandel erhält der Expräsident, der sich nach zwei verlorenen Wahlen weiterhin für den einzig befähigten Kandidaten hält, die Chance, im Jahr 2001 noch einmal Präsident zu werden.

Während die aufrechten Sandinisten die Mauschelei auf höchster Ebene moralisch verwerflich finden, spricht für den Historiker Rafael Casanova die Erfahrung der Geschichte gegen den Pakt. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1821 habe bei derartigen Verhandlungen auf höchster Ebene immer der Schwächere verloren und die Interessen der Bevölkerungsmehrheit seien nie berücksichtigt worden. Zwar enden die Reflexionen des Historikers in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, doch sind seine Erkenntnisse auch auf die neuere Geschichte anwendbar.

Die Geschichte des Sandinismus ist eine Geschichte von Pakten. Und nicht immer saßen die Revolutionäre am längeren Hebel. Das Image der unbesiegbaren Helden erstritten sich die Freiheitskämpfer nicht in den verlustreichen Gefechten in den Bergen, wie der später glorifizierten Begegnung mit der Nationalgarde bei Pancasán. Vielmehr entstand es durch spektakuläre Geiselnahmen und die darauffolgenden Verhandlungen mit Somoza. Dem Überfall auf die vorgezogene Silvesterparty des Somoza-Ministers Chema Castillo im Jahr 1974 und der Geiselnahme im Nationalpalast im August 1968 verdanken Daniel Ortega und Tomás Borge ihre Freiheit.

Beide Male mußte der Diktator nachgeben, politische Gefangene freilassen und Lösegeld zahlen. Die Rebellen wurden so in Nicaragua populär und im Ausland bekannt. Ein weit weniger glorreiches Ergebnis brachten die Verhandlungen mit der bürgerlichen Opposition und dem Sonderbotschafter der USA kurz vor dem Sturz Somozas. Die Vereinbarung, die für die Zeit nach dem Abgang des Diktators eine gemischte Regierung und den Erhalt der repressiven Nationalgarde vorsah, ist wegen ihrer Kurzlebigkeit aus der kollektiven Erinnerung der Nicaraguaner verschwunden.

Erst die unerwartete Selbstauflösung der Nationalgarde ermöglichte es den Sandinisten, das Machtvakuum zu nutzen und alle Schaltstellen der Macht zu besetzen. Die geschwächte bürgerliche Opposition wurde in den folgenden Jahren teils ausgegrenzt, teils in „Nationale Dialoge“ eingebunden, damit wichtige Entscheidungen unter dem Deckmäntelchen des nationalen Konsens verkauft werden konnten. Die Konsequenz war allerdings, daß sich die über den Tisch gezogenen Oppositionellen nach und nach der Konterrevolution anschlossen oder sich innenpolitisch als Resonanzkörper der US-amerikanischen Interventionspolitik hergaben.

Das Ergebnis ist bekannt: 1990 konnte sich ein Bündnis aus den verschiedensten Parteien und Politikern, einschließlich führender Contravertreter, als glaubhafte Alternative zu den Sandinisten präsentieren und die Wahlen gewinnen. Glaubhaft deswegen, weil sie als Verbündete der USA größere Chancen hatten, die militärische Aggression und das Wirtschaftsembargo abzustellen. Auch die Rahmenbedingungen jener Wahlen waren das Ergebnis eines Paktes: Die Sandinisten mußten dem gemeinsamen Druck der USA, der zentralamerikanischen Präsidenten und der europäischen Regierungen nachgeben. Sie verhandelten als Schwächere und verloren.

Denn der Handel „Wahlen gegen Frieden“ ging nicht auf. Zwar wurden nach langem Zuwarten die Contralager in Honduras geschlossen, doch unter dem Schutz der Waffenruhe liefen die Konterrevolutionäre als bewaffnete Wahlhelfer der Opposition herum. Daß sie im Falle eines anderen Wahlausgangs weitergekämpft hätten, war offensichtlich. Das Eingeständnis der Wahlschlappe und die friedliche Machtübergabe brachte den Sandinisten zwar internationale Anerkennung, doch sie verpaßten die Chance, sich als Oppositionskraft aufzubauen. Ortegas Versprechen an die verunsicherten Massen, die Sandinisten würden künftig „von unten regieren“, weckte Hoffnungen, die nicht eingelöst wurden. Jeder Sozialkonflikt wurde letzten Endes durch ein Abkommen im Hinterstübchen geregelt, die Kräfte der Massenorganisationen nach und nach ausgehöhlt. Statt „Regierung von unten“ gab es jenen Dauerpakt mit Violeta Chamorro, der als „Cogobierno“, als Mitregieren, in Verruf kam. Außer daß die berüchtigte „Piñata“, die wundersame Vermögensmehrung der Comandantes und Funktionäre vor der Machtübergabe, nach und nach legalisiert wurde, gab es kaum politische Dividenden für die FSLN. War die Schützenhilfe für die Regierung Chamorro noch damit zu rechtfertigen, daß die Attacken der Ultrarechten gemeinsam abgewehrt werden müßten, so fehlen heute, da es um einen Pakt mit der Ultrarechten geht, die Argumente.

Welchen Sandinismus hat Ortega seinen Anhängern anzubieten? Was Sandinismus wirklich ist, das hat keiner je überzeugend definieren können. Die Ideologie, die Carlos Fonseca, Tomás Borge und die anderen Männer der ersten Stunde aus den Sentenzen des liberalen Befreiungshelden Augusto C. Sandino (1889 – 1934), dem Ideengut lateinamerikanischer Revolutionäre und den illegal zirkulierenden sowjetischen Handbüchern zusammenmixten, hat den Großteil der Basis nie interessiert. Genauso wie der erst kurz vor dem „triunfo“ beigelegte Richtungsstreit zwischen den am Vietnamkrieg orientierten Anhängern des langen Volkskrieges auf dem Land (GPP), den Befürwortern der Allianz mit städtischen Gewerkschaftern und Studenten (Proletarios) und der Aufstandstendenz (Terceristas) zwar in den geheimen Zellen heftig diskutiert wurde, den furchtlosen Kämpfern, die gegen die Nationalgarde Barrikaden errichteten, aber völlig unverständlich war. Obwohl anfangs die Kriterien für eine Vollmitgliedschaft in der FSLN äußerst exklusiv gefaßt waren, fühlten sich im Sandinismus fast alle aufgehoben, die sich vom Ende der Diktatur eine gerechtere Gesellschaftsordnung versprachen. Die Alphabetisierungskampagne, die Ausbreitung der medizinischen Versorgung bis in den letzten Winkel, die Agrarreform und die Förderung der Kultur auf allen Ebenen machten daher für die Bevölkerungsmehrheit das Wesen der Revolution aus. Als 1988 unter dem Druck der Wirtschaftskrise IWF-konforme Reformen die Wende vorwegnahmen, da gab es nichts mehr zu verteidigen, was den Tod so vieler Jugendlicher, die oft vor der Diskothek zwangsrekrutiert und unzureichend ausgebildet an die Front geschickt wurden, gerechtfertigt hätte.

Und auch heute stellt sich wieder die Frage, welche Alternativen die FSLN anzubieten hätte, wenn sie erneut an die Macht käme. In ihren Betrieben zeigen die inzwischen zu skrupellosen Unternehmern mutierten Comandantes wie Tomás Borge oder Bayardo Arce jedenfalls keine Ansätze zur Schaffung des neuen Menschen, von dem früher soviel die Rede war. Und ein Daniel Ortega, der bereit ist, Arnoldo Alemán nach dem Vorbild von General Pinochet einen lebenslangen Sitz im Parlament zu verschaffen, dürfte kaum imstande sein, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und im scharfen Wind der Globalisierung neue Gesellschaftsmodelle zu schaffen.

Wenn trotzdem am 19. Juli Tausende Nicaraguaner den Jahrestag feiern, dann weil der nie verwirklichte Traum des Sandino noch immer lebendig ist. Sie würden sich dort auch einfinden, wenn keine Partei dazu aufgerufen hätte.

Ralf Leonhard, 45, war zwölf Jahre Zentralamerikakorrespondent der taz in Managua. Heute lebt er als freier Journalist in Wien.

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