„Keinerlei Profil? Das ist zu hart geurteilt!“

■ Gestern noch grün, heute schon grau? Weder „Augen zu und durch“, noch „Rolle rückwärts“, fordert der grüne Ex-Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Möhle

taz: Ist der Weg in die Mitte bei den Grünen inzwischen abzusehen?

Klaus Möhle: Die Flucht in die Mitte als einzige Rettung der Grünen ist ein Irrtum. Man muß schauen, wo man die SPD beerben kann. Denn sie hinterläßt unglaublich viel unbeackertes Feld im sozialen Bereich. Die Sozis sind nicht mehr der Garant für soziale Politik. Auch ganz andere Koalitionen kann ich mir inzwischen vorstellen. Möglicherweise kann man mit der CDU durchaus mehr anfangen, als bisher gedacht wurde.

Das aus Ihrem Mund, das irritiert.

Für Grüne muß es in Zukunft mehr darum gehen, was man real umsetzen kann.

Was ist der Vorteil der CDU gegenüber der SPD?

Der Nachteil mit der SPD ist, daß man in Gefangenschaft bleibt, wenn man sich auf sie fixiert. Die SPD sagt, daß sie mehrheitlich Rot-Grün will. Scherf stellt sich hin und sagt: Keinen Bock drauf. Irgendwann muß dann doch bei den Grünen die Einsicht kommen, daß das so nichts wird.

Wird Schwarz-Grün denn jetzt bei den Grünen diskutiert werden?

Das glaube ich nicht. Ich bin auch nicht dafür. Aber man muß sehen, wie man aus der fatalen Anbindung an die SPD herauskommt. Die Diskussion über die Neuausrichtung der Partei läuft jetzt. Aber ich glaube nicht, daß der Weg darin liegt, Menschen aus der Partei herauszudrängen, wie das die Liberalos in fordern. Ich will neue Wähler dazugewinnen, damit wir insgesamt eine Erneuerung der Partei hinbekommen. Unter dem Uni-Personal sind zum Beispiel viele kluge Köpfe, die wir auch persönlich kennen – aber dennoch haben wir sie nicht an die Partei binden können.

Obwohl das dann auch eher traditionelle Altlinke wären und nicht unbedingt ein neues Klientel ...

Man muß die 68er nicht immer verdammen. Weder glaube ich, daß man mit 46 Jahren ein Apo-Opa ist, noch, daß man mit 30 Jahren unbedingt ein junger Wilder ist. Schubladen dienen nur dazu, bestimmte Sachen zu instrumentalisieren. Was haben Sie gegen die 68er?

Wenn man sich die Liste der Bürgerschaftsabgeordneten ansieht, stellt man fest: So gut wie keine neuen Leute, die jüngere Generation hat bei euch in Bremen nichts zu sagen.

Das ist ein Schlüsselproblem, wobei ich nicht glaube, daß das ein Generationenproblem ist. Auch wenn man schon ein bißchen älter ist, kann man politische Perspektiven für die Jugend entwickeln. Wenn ich als Landesparteivorsitzender gewählt würde, würde ich das angehen. Mir geht es aber nicht nur um jüngere, sondern auch um neue politisch Aktive. Ich habe seit drei Jahren Bürgerschaftspolitik für die Grünen gemacht und fühle mich deshalb noch verdammt neu bei den Grünen. Jetzt mußte ich Platz für die „Erneuerung“ machen, und andere Abgeordnete sind bereits die dritte oder vierte Legislaturperiode dabei. Da gibt es ein Epizentrum der Macht. Und das würde ich saugerne aufbrechen.

Es nützt ja nichts, die alten Haudegen auf den Posten hin und herzuschieben, wenn wir nicht neue gesellschaftliche Kräfte in die Partei eintreten lassen. Dafür müssen wir uns inhaltlich und strukturell öffnen. Wir sind ein „Closed Shop“ geworden.

Einen lebendigen Neuzugang haben die Bremer Grünen ja zu verzeichnen: Jens Kröcher, einer von zwei Autoren des Positionspapiers der „Liberalos“. Ist er vom Schlag der Menschen, die Sie sich auch neu in der Partei wünschen?

Man muß neu definieren, was Grüne Politik inhaltlich ist.

Genau das macht er doch.

Nein. Er sagt doch ausschließlich: Rein in die Mitte, F.D.P. beerben, grüne Wurzeln abkappen. Das reicht nicht aus. Ich will die Gesellschaft verändern, und muß dafür realistische tragfähige Konzeptionen erarbeiten zwischen Vision und Alltagszwängen.

Was ist denn das Neue an Ihrer Position? Daß die Grünen auf der Suche nach neuen Leitbildern sind, hätten Sie in dieser schwammigen Politikersprache doch auch schon gesagt, bevor Sie Bürgerschaftsabgeordneter geworden sind.

Neu ist, daß ich mir inzwischen vorstellen kann, auch mit anderen gesellschaftlichen Kräften, wie der CDU, zusammenzuarbeiten.

Nicht neu ist aber die Forderung nach inhaltlicher Profilstärkung, die Rückbesinnung auf urgrüne Themen. Diese Forderungen wurden oft erhoben, aber nicht durchgesetzt.

Das liegt nicht daran, daß die Themen so falsch waren, sondern daß die Vermittlung nicht gelang. Wir waren nicht in der Lage, die Ideen hinter unseren Konzepten gut rüberzubringen. Das ist vielleicht das größte Problem der Grünen. In der Stadtentwicklungspolitik zum Beispiel haben wir fast die gleichen Positionen wie die kritische Ex-Staatsrätin Ulla Luther vertreten. Das kam nicht an. Auch in der Arbeitsmarktpolitik haben wir versucht, Strukturen zu entwickeln, wie man marktnäher Arbeit schaffen kann, also nicht nur mit ABM-Maßnahmen. Auch das haben wir nicht deutlich rübergebracht.

Woran liegt das?

Der Fehler liegt innerhalb der Grünen: Die Streitkultur ist hochgradig neurotisch. Die alte linke Tradition, wir machen den Kampf freier Linien und am Ende kommt eine Säuberung heraus – so kann man Politik heute nicht mehr gestalten. Auch daß jetzt von den jungen Linken ein Gegenpapier zu dem Liberalo-Papier auftaucht: Das macht keinen Sinn. Man muß doch auch schauen, was von der Kritik gehaltvoll ist und was man übernehmen muß. Insgesamt finde ich unser Verhalten oft nicht professionell.

Was waren Fehler der Fraktion?

Es wurden keine gemeinsamen Schwerpunkte gesetzt. Jeder hat nur seinen kleinen ökologisch-politischen Garten bewirtschaftet. Zum Beispiel beim Thema Stadtentwicklung hätten wir mehr nach den übergeordneten Punkten suchen müssen, auch in der Arbeitsmarktpolitik.

Was mich wundert, ist daß Sie Inneres nicht nennen: Da hattet Ihr mit Senator Ralf Borttscheller einen idealen Sparringspartner, doch dabei haben die Grünen keinerlei Profil gezeigt.

Keinerlei Profil? Das ist zu hart geurteilt.

Aber oft habt ihr gute Gelegenheiten an euch vorbeiziehen lassen.

Das ist wohl wahr. Wenn der Fraktionsvorstand ein politisch leitendes Gremium wäre, könnte man solchen Problemen vielleicht besser beikommen. Die Grünen haben Schwierigkeiten zu sagen: Wir machen jetzt einen Vorstand, eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden, und die bestimmen dann ein Stück weit, wo es politisch langgeht. Solche Vorstellungen gehen schnell in einem Kollektivgedanken unter – aber inoffiziell sind die Hierarchien dennoch vorhanden.

Sie glauben nicht, daß die Grünen gestern noch grün und heute schon grau sind?

Nee. Gut, man kommt auch in die Jahre. Die Grünen schweben zwischen Tradition und Moderne, zwischen „Augen zu und durch“ und „Rolle rückwärts“. Das muß kreativ gelöst werden.

Fragen: Christoph Dowe