: Späte Einsicht auf Kosten Hunderter Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge
■ Erst mit Erscheinen ihrer Unternehmensgeschichte ist die Baufirma Philipp Holzmann zur Entschädigung bereit
„Auf dem Berg, in der Grube, auf den unzähligen Gestellen und Eisentraversen wimmelte es nur so von Arbeitssklaven“, erinnert sich ein ehemaliger Zwangsarbeiter der Philipp Holzmann AG. „Maschinen, Dynamos, Bagger dröhnten, rhythmische Kommandos, Hämmern, Geschrei, Prügel, Wehklagen kamen aus der Erde hervor und vermischten sich in babylonischer Verwirrung.“ Auf der Baustelle „Diana II“ bei Kaufering wurden 1944 unterirdische Stollen für die Produktion eines Düsenflugzeugs gebaut. Die Arbeitskräfte bezog die Baufirma Holzmann aus einem Außenlager des KZ Dachau.
Im ganzen Deutschen Reich baute das Unternehmen „für den Führer“. Es war am Westwall und am Bau der Autobahnen beteiligt, es erstellte das Jagdhaus von Hermann Göring, den Neubau der Reichsbank in Berlin und ein Gästehotel auf dem Obersalzberg – und überall mußten Zwangsarbeiter für die Firma schuften. Das Unternehmen kooperierte eng mit der Organisation Todt, die zentrale Stelle zur Beschaffung und zum Einsatz von Arbeitskräften, benannt nach ihrem Chef. Mißhandlungen der Häftlinge durch die SS und Firmenmitarbeiter waren keine Seltenheit.
Manfred Pohl, Leiter des historischen Instituts der Deutschen Bank, der vor kurzem nachwies, daß die Bank mit Krediten den Auschwitz-Bau mitfinanzierte, hat sich jetzt die Geschichte des Holzmann-Konzerns vorgenommen. In einer umfangreichen Studie, die im Oktober im Beck-Verlag erscheint, zeigt Pohl auf, daß Ende 1943 fast die Hälfte der Holzmann-Arbeiter Ausländer waren. Wie viele davon Kriegsgefangene waren, ist nicht mehr zu ermitteln. Mindestens 600 KZ-Häftlinge mußten für das Unternehmen arbeiten. Die Sterblichkeitsrate war hoch. Nicht auszuschließen ist laut Pohl, „daß sich das Holzmann-Stammpersonal in den Lagern vor Ort geeignete Hilfsarbeiter heraussuchte“.
Nach dem Krieg wollte das Unternehmen davon nichts mehr wissen: 1957 wurde Holzmann von 70 ehemaligen KZ-Häftlingen verklagt. Es ging um das Bauprojekt „Diana II“ und die Rekrutierung von Häftlingen aus dem Außenlager Dachau. Das Unternehmen berief sich darauf, daß es keine eigenen Unterkünfte für Zwangsarbeiter unterhalten habe. Ehemalige Holzmann-Mitarbeiter gaben zu Protokoll, daß es keine Mißhandlungen gegeben habe.
Als 1968 zwei jüdische Zwangsarbeiterinnen, die 1943 in Estland für Holzmann Kaianlagen reparieren mußten, einen Prozeß gegen das Unternehmen anstrengten, wurden die Klagen vom Landgericht Frankfurt abgewiesen: Holzmann hatte nicht als Bauherr, sondern nur als ausführendes Unternehmen fungiert.
Bis Anfang der achtziger Jahre benutzte die Holzmann AG das Argument der Nichtzuständigkeit als Mittel, um jegliche Ansprüche abzuschmettern. Später wurde ehemaligen Zwangsarbeitern in Standardbriefen geantwortet, daß keine Vertragsverhältnisse zwischen dem Unternehmen und den Häftlingen bestanden hätten. Zudem konnte sich Holzmann formaljuristisch immer damit herausreden, daß das Unternehmen im Nationalsozialismus auf Weisung staatlicher und militärischer Stellen gehandelt habe. Eine dreiste Argumentation, denn „Tatsache ist“, schreibt Manfred Pohl, „daß eine unabsehbare Zahl von Zwangsarbeitern, Juden und Nichtjuden ihren Einsatz in der deutschen Bauwirtschaft mit dem Leben bezahlte oder lebenslange physische und psychische Schäden davontrug“. Die Philipp Holzmann AG sei für die Zwangsarbeiter ein „Teil des NS-Systems“ gewesen „durch den die unmenschlichen Lebensbedingungen konkrete Gestalt angenommen hatten“.
Wie bereitwillig der Holzmann-Konzern mit dem NS-Regime kooperierte, wird auch anhand der Veränderungen im Vorstand des Bauunternehmens sichtbar: Alle Vorstandsmitglieder traten mit einer Ausnahme bis 1942 in die NSDAP ein.
Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens war ab 1939 Herrmann Josef Abs, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Als Abs 1970 in Schwierigkeiten geriet, weil der DDR-Historiker Eberhard Czichon ihn belastete, kam der damalige Archivar im Historischen Institut der Deutschen Bank und heutige Holzmann-Unternehmensgeschichtsschreiber Pohl ihm zu Hilfe. Er fand in den Konzernakten entlastende Dokumente. Eine 1981 geschriebene Abs-Biographie würde Pohl heute lieber anders verfassen.
Anläßlich der Vorstellung der Pohl-Studie hat Holzmann als erstes Bauunternehmen angekündigt, sich an dem geplanten Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter zu beteiligen. Doch ein Recht auf Entschädigung will der Konzern den ehemaligen Zwangsarbeitern nicht zugestehen: Zahlen wolle man nur, wenn ein Rechtsschutz vor weiteren Klagen vereinbart werde, sagte Holzmann-Vorstandsvorsitzender Heinrich Binder. Matthias Thieme
„Eine unabsehbare Zahl von Zwangsarbeitern bezahlte ihren Einsatz in der deutschen Bauwirtschaft mit dem Leben“
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