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Wenn Rechte am Vatertag Klein-Hitler spielen

Im Mai vor zwei Jahren zogen rechte Jugendliche durch Ostberlin: am Nachmittag schlugen sie in der Straßenbahn zu, kurz nach Mitternacht im Bus und in der S-Bahn. Nachdem die zwei Haupttäter in einem Fall verurteilt wurden, ist einer untergetaucht    ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Der Bayer Martin Gruber (Name geändert) hat eine bleibende Erinnerung an Berlin. Doch was der angehende Lehrer am Vatertag vor zwei Jahren erlebt hat, wird kaum zur besseren Verständigung zwischen Preußen und Bayern beitragen. Der 27jährige aus Traunstein, der sich für zwei Semester an der Humboldt-Universität eingeschrieben hatte, war am 8. Mai 1997 nachts gegen 1 Uhr in Hellersdorf in den Bus gestiegen, um ins Studentenwohnheim nach Biesdorf zu fahren. Doch statt einer gemütlichen Heimfahrt erlebte er einen Horrortrip.

Kurz nachdem er eingestiegen war, wurde er von Rechten mit den Worten „Scheiß-Judenschweine, Scheiß-Kanaken“ angepöbelt. Der Bayer, der glaubte, daß sich die Rechten vielleicht an seinen dunklen Haaren und seiner etwas dunkleren Hautfarbe störten, versuchte nicht, den Helden zu spielen. In seiner Verzweiflung holte er seinen deutschen Paß hervor. Doch das interessierte die Rechten nicht. Gruber wurde von einem derart mit der Faust ins Gesicht geschlagen, daß er zu Boden ging. Dann hielt sich der Schläger an der Dekkenstange fest und versuchte, ihm mit seinen Springerstiefeln ins Gesicht zu treten. Nur weil Gruber die Arme schützend vor sein Gesicht hielt, trafen die Schläge seine Unterarme. Fazit des brutalen Übergriffs, den die etwa 20 Fahrgäste und der Busfahrer schweigend verfolgten: ein angebrochenes Nasenbein, eine Blutung am rechten Auge, eine Rißwunde an der rechten Wange. Erst nachdem Gruber gegenüber dem Busfahrer „Druck machte“, rief dieser die Polizei. Obwohl er im nahe gelegenen Krankenhaus in Lichtenberg vernommen wurde, wollten die Beamten keine Täterbeschreibung. „Das hat die nicht groß interessiert“, sagt er.

Obwohl er den mutmaßlichen Haupttäter zunächst nicht auf Fotos identifizieren konnte, wurde der Vorfall dennoch aufgeklärt. Der 20jährige Tischler aus dem Land Brandenburg, der zur Tatzeit seinen Wehrdienst in Oldenburg leistete, und ein 22jähriger Berliner wurden anscheinend verpfiffen. Dabei stellte sich heraus, daß die beiden mit anderen Rechten nur eine Dreiviertelstunde nach dem Überfall auf den Bayern zwei Männer und eine Frau in der S-Bahn attackiert hatten. Die Opfer wurden zum Teil schwer verletzt: Einer, auf dessen Kopf ein Schlagstock zu Bruch ging, verlor zeitweise das Bewußtsein. Er erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und zwei Platzwunden. Die Frau, der mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde, trug eine Schwellung der linken Gesichtshälfte davon. Der Dritte war wegen Abschürfungen und Prellungen an Kopf und Händen eine Woche krankgeschrieben. Weil es sich mit der für eine Anklage erforderlichen Wahrscheinlichkeit bei den beiden Hauptbeschuldigten um die Gleichen handelt, die auch den Bayern angegriffen haben, wurde die Anklage wegen schwerer Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung und Bedrohung um diesen zweiten Vorfall erweitert.

Doch obwohl in der Anklageschrift steht, daß „das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bezüglich der Körperverletzung vorsorglich bejaht wird“, ist bis heute nichts passiert. Weil der Hauptbeschuldigte, der 20jährige Tischler, der der Kameradschaft Köpenick angehören soll, abgetaucht ist, platzte die Verhandlung, die vor wenigen Wochen vor dem Amtsgericht Tiergarten eröffnet werden sollte.

Eine Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft ergab, daß die beiden Hauptbeschuldigten keine Unbekannten sind. Sie wurden bereits im Juni vergangenen Jahres verurteilt, weil sie wenige Stunden vor den mitternächtlichen Randalen zusammen mit anderen Rechten zwei Männer und eine Frau in einer Straßenbahn in Angst und Schrecken versetzten. Nach Angaben von Justizsprecher Matthias Rebentisch grölten sie rechte Parolen und bewarfen eine Frau mit einem Bierglas. Der 20jährige wurde wegen schwerer Körperverletzung, dem Zeigen nationalsozialistischer Kennzeichen und Volksverhetzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt; der 22jährige wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1.600 Mark.

Über die Gründe, warum nicht alle Übergriffe zu einem Verfahren zusammengefaßt wurden, kann nur spekuliert werden. Justizsprecher Matthias Rebentisch betont zwar, daß es „wegen der erzieherischen Wirkung“ sinnvoll wäre, alles zusammen zu verhandeln. Er vermutet, daß der Überfall am Nachmittag „vielleicht schon früher ausermittelt war“. Einen Zusammenhang zwischen dem ausstehenden Verfahren und dem Verschwinden des 20jährigen weist er als „pure Spekulation“ zurück.

Der Anwalt von Martin Gruber, Arnold Köpcke-Duttler, ist nicht gut zu sprechen auf die Berliner Justizbehörden. Er kritisiert, daß das Verfahren „schon übermäßig lange dauert“. Auch stößt ihm auf, daß ihm der Beschluß zur vorläufigen Einstellung des Verfahrens, in dem sein Mandant als Zeuge und Nebenkläger auftritt und 4.000 Mark Schmerzensgeld fordert, ohne Begründung mitgeteilt wurde. Nun wartet er gespannt darauf, welche Anstrengungen gemacht werden, den Untergetauchten zu finden. „Es ist das tägliche Brot der Staatsanwaltschaft, nach nicht auffindbaren Angeklagten zu suchen“, schimpft er. Sein Mandant, der sich erst ein Jahr nach dem Überfall einen Anwalt genommen hat – „Ich hatte nicht gedacht, daß es so problematisch wird“ –, spricht von einem „politischen Skandal“. Je nach Interessenlage würden die Mühlen der Justiz schnell oder langsam mahlen.

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