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Eine Dynastie und ihr Mythos

Die Kennedys hat erneut ein schwerer Schicksalsschlag getroffen. Die Geschichte des Clans ist Legende  ■   Von Georg Baltissen

Tragik und Verstrickung, Reichtum und Macht, Leidenschaft und Tod, die Dramen Shakespeares sind aus diesem Stoff gestrickt, ebenso die Melodramen Hollywoods. Es ist der Stoff, aus dem Legenden sind, auch amerikanische. Die Kennedys sind ein Clan mit all den archetypischen Mustern einer Dynastie: Sex und Verbrechen, Triumph und Niederlage, pure Willensstärke und eiserner Zusammenhalt. Das Geschick dieser Familie hat eine ganze Nation in den Bann gezogen, sie in Trauer und Entsetzen gestürzt, zu Mitleid gerührt und Ekel und Abscheu ebenso ausgelöst wie Neid und Schadenfreude. Die Saga der Kennedys ist die Geschichte Amerikas in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.

Keine andere Familie der USA hat in den vergangenen Jahren derart im Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden wie die Kennedys. Zweimal war das Fernsehen live dabei, als die großen politischen Figuren der Familie, John F. und Robert, den Kugeln von Attentätern zum Opfer fielen. Die Morde wurden rekonstruiert und untersucht. Doch aufgeklärt sind sie bis heute nicht. Selbst den scheinbar banalen Unglücken haftete bei den Kennedys stets das dramatische, das tragische Element an, weil sie sich unter Umständen abspielten, die kein Drehbuchautor hätte erfinden dürfen, ohne sich lächerlich zu machen. Und so war es auch dieses Mal wieder. John F. Kennedy junior war auf dem Weg zur Hochzeit seiner Kusine Rory, die noch im Mutterleib war, als ihr Vater Robert F. Kennedy ermordet wurde. Es war Rory, die beim letzten schweren Schicksalsschlag, der die Kennedys am Silvestertag 1997 traf, ihren bei einem Skiunfall verunglückten Bruder Michael in den Armen hielt, als dieser starb. Und ausgerechnet auf dem Weg zur Hochzeit dieser jungen Frau stürzen ihr Cousin John F., dessen Frau Carolyn Bessette und deren Schwester Lauren vor der Küste Massachusetts ab. Aus ausgelassener Freude wird sprachlose Traurigkeit. In Hyannisport, dem Familiensitz, wird statt der Hochzeit eine Messe zelebriert.

Affären haben die Kennedys immer begleitet, und immer spielten schöne Frauen und allzu menschliche Instinkte dabei eine Rolle. Vater John F.s Beziehung zu Marilyn Monroe bedeckte Jahrzehnte der Mantel des Schweigens. Die Eskapaden seines jüngsten, einzig noch lebenden Bruders Edward kosteten diesem die Karriere. Seine Sekretärin ertrank auf der Heimfahrt von einer Party. Edward rettete sich, blieb aber 24 Stunden lang verschwunden.

John F. Kennedy junior ging nicht in die Politik. Seine Eskapaden konnte ihm mithin keiner ankreiden. Mal als „der schönste“, mal als „der erotischste Mann Amerikas“ machte er von sich reden. Er mied keine Partys, ignorierte jedoch Papparazzi und war sich auch für erotische Auftritte nicht zu schade. Obwohl nicht wenige in ihm den möglichen Nachfolger seines Vaters sehen wollten, mied er diese Fußstapfen konsequent. Mehr fühlte er sich von Abenteuern und körperlichen Herausforderungen angezogen. Den Jet-set nahm er letztlich nicht so ernst. Und seine juristische Ausbildung offensichtlich auch nicht. Beim Juraexamen fiel er durch, aber als Staatsanwalt von Manhattan gewann er all seine sechs Verfahren. Mehr waren es nicht. Schließlich wandte er sich dem zu, was einst auch sein Vater als „Traumjob“ bezeichnet hatte, dem Journalismus. John F. junior wurde Herausgeber der Zeitschrift George, ein Lifestyle-Magazin, dem er auch als Chefredakteur vorstand.

Amerika mag den heranwachsenden wie den erwachsenen John F. junior mehr als einmal zu Gesicht bekommen haben. Für die meisten Durchschnittseuropäer aber ist er der kleine „John-John“ geblieben, der, tapfer wie ein Soldat, als Dreijähriger strammsteht, die kleine Hand zum militärischen Gruß erhoben, als der Sarg seines Vaters, drei Tage nach dessen Ermordung, auf dem Flughafen in Washington eintrifft.

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