■ Deutsche Erinnerungspolitik 1999: Einige Notizen anläßlich des heutigen Bundeswehrgelöbnisses im Berliner Bendlerblock: Wir sind die Guten
In der deutschen Erinnerungspolitik existieren derzeit drei Strömungen: eine älteren, zwei neueren Datums. In der „alten“, dem Links-Rechts-Schema verhafteten, ging es darum, daß sich die beiden Lager in der Vergangenheit spiegelten und damit das eigene Selbstverständnis begründeten.
Besonders kraß war diese Tendenz stets in Bezug auf den deutschen Widerstand: In der DDR-Sicht verengte sich der Widerstand auf einen heroischen kommunistischen Kern, die anderen, etwa die Attentäter des 20. Juli, wurden unter „ferner liefen“ verbucht. Im Westen herrschte, zumindest bis zu Weizsäckers Rede 1985, spiegelverkehrt ein ähnliches Bild.
Die große ideologische Schlacht am Beispiel des 20. Juli nachzuspielen, gelang zuletzt 1994 einigen Konservativen, angeführt von dem Ex-CSU-Abgeordneten Franz Ludwig Graf Schenk von Stauffenberg. Sie kritisierten, daß in der Ausstellung zum Deutschen Widerstand im Bendlerblock, wo 50 Jahre zuvor der Hitler-Attentäter Stauffenberg hingerichtet worden war, in ein paar (von 1.300!) Exponaten Ulbricht erwähnt wurde. Dies war eine Art Schlußfanfare jener engherzigen, narzißtischen „alten“ Geschichtsauffassung, in der es stets gute und schlechte Widerständler geben muß.
Diese Haltung – die eigene Anschauung als Maßstab rückwärts in die Vergangenheit zu verlängern – hat freilich auch auf der Linken eine unerfreuliche Tradition. In der DDR galt lange Albert Nordens Formulierung, daß der Widerstand des 20. Juli die Einstellung des Krieges im Westen und die Fortführung im Osten gewollt habe. Die „Gelöbnix“-Gruppe, die gegen das heutige Bundeswehr-Gelöbnis demonstriert, hängt einem ähnlich klippschulhaften Geschichtsbild nach, das von der Widersprüchlichkeit des 20. Juli nichts wissen will und die ganze Mischpoke der Einfachheit halber zu Parteigängern der Nazis erklärt.
Eigentlich ist man schon weiter. In den letzten Jahren ist in der Gesellschaft ein neues reflektiertes erinnerungspolitisches Verständnis gewachsen, das die Fallen der Identitätspolitik kennt. Das hängt gewiß mit dem Ende des Kalten Krieges und der beiden deutschen Staaten zusammen – die Haltung zur Nazi-Geschichte ist seitdem ein Stück weit aus dem machtpolitischen Getriebe herausgelöst. Die Entspannung an der Geschichtsfront hat auch mit den politischen Ideologien zu tun, die sich in verschiedene, aber nicht grundsätzlich entgegengesetzte Versionen einer Verwaltung der sozialen Marktwirtschaft verwandelt haben (Was ist die PDS anderes als ein sozialdemokratisch-etatistische Partei?).
Vor allem aber ist dieses neue Erinnerungsverständnis das Ergebnis einer „Historisierung“. Der Holocaust taugt nicht mehr als Schauplatz, um sich in einem Generationskonflikt zu postitionieren, er taugt nicht mehr als Identitätsmuster im ödipalen Kampf. Damit steht der Motor still, der den heftigen Vergangenheitsstreit 1968 ff. antrieb. Zum Ausdruck kam diese neue Erinnerungspolitik etwa in der Bundestagsdebatte um das Holocaust-Denkmal. Die Fronten verliefen nicht mehr entlang der Parteigrenzen, sondern kreuz und quer. An die Stelle der Standardargumente – von rechts: Rot gleich Braun, von links: Generalverdacht gegen die Konservativen als heimliche Sympathisanten des Rechtsextremismus – rückten die Erkenntnisse der neuen Erinnerungspolitik: daß es kein richtiges Erinnern gebe, das den Opfern gerecht würde, und daß sich der Holocaust der Darstellung entziehe. Gewiß können auch diese Einsichten schnell zu Floskeln werden. Trotzdem: In diesem neuen Erinnerungsdiskurs geht es darum, die Debatte um richtige und falsche Erinnerung stets mit Selbstreflexionen zu verbinden, will sagen: mit der Frage, wo die tagespolitische Instrumentalisierung, wo der Mißbrauch von Geschichte für die eigene Identität beginnt.
Und das Gelöbnis im Bendlerblock? Es gibt zwei gewichtige Argumente dagegen, ein prinzipielles, ein konkretes. Allgemein kann man mit Recht fragen, ob eine zivile Demokratie solche trommelwirbelgestützten Rituale braucht, die durchaus an den deutschen Militarismus erinnert. Auch daß „Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer“ verteidigt werden muß und daß gelobt wird, „der Bundesrepublik treu zu dienen“, verrät eine Offenheit gegenüber völkischen Traditionen.
Der konkrete Ort dieses Gelöbnisses spiegelt zudem die Zwiespältigkeit rot-grüner Geschichtspolitik. Denn der Bendlerblock ist ein Platz mit doppelterBedeutung. Hier wurde vor 55 Jahren Graf Stauffenberg erschossen – freilich plante hier zuvor das Oberkommando des Heers den Vernichtungskrieg gegen Polen und Rußland. Das Gelöbnis an diesem Ort fügt sich in den rot-grünen Versuch, die Bundeswehr in eine unverdächtige Tradition zu stellen. Ein zweifelsfreies Bekenntnis gegen die Wehrmacht ist es nicht.
Mutig wäre es gewesen, das Bundeswehrgelöbnis – wenn man es schon nicht abschaffen will – in Plötzensee abzuhalten. Dort wurden Gegner des Naziregimes gefangengehalten und malträtiert, dort wurde das Gros der Verschwörer des 20. Juli hingerichtet. Dies wäre der Ort gewesen, um ein eindeutiges Zeichen für das Recht zu setzen, mit dem Eid brechen zu dürfen, wenn er Soldaten an ein verbrecherisches Regime kettet.
Der Bendlerblock paßt zu dem rot-grünen Wechsel in Sachen Erinnerungspolitik. Man will eine mit moralischen Traditionen ausgestattete Bundeswehr – allerdings ohne neue, plakative Symbole wie ein Gelöbnis in Plötzensee. Diese moderate Ehrung des Widerstands orchestriert natürlich auch Scharpings bewaffnete Menschenrechtspolitik: Es ist legitim, gegen Tyrannen zu kämpfen – hier und andernorts.
Da kündigt sich eine neue, dritte, erinnerungspolitische Strömung an, die moralisch und staatstragend sein will. Früher, in der alten Bundesrepublik, diente der Rückgriff auf die Nazivergangenheit den Grünen, aber auch Teilen der SPD dazu, den Generalvorbehalt gegen den deutschen Staat zu pflegen. Die Zeiten sind vorbei. Mit Scharpings moralischem Tremolo im Kosovo-Krieg ist ein neuer, schiefer Ton in der Erinnerungspolitik eingezogen. Die militärische Normalisierung des vereinigten Deutschland ist mit Auschwitz-Vergleichen gepflastert.
Die neue, rot-grüne staatliche Erinnerungspolitik bewegt sich jenseits der alten Links-rechts-Gräben. Freilich geht sie ebenso gedankenlos wie früher ans Werk, wenn es gilt, Tagespolitik historisch zu legitimieren. Was der rot-grünen Geschichtspolitik bislang fehlt, ist jeder Anflug von Selbstreflexion. Es ist die alte Identitätspolitik mit neuen Zielen. Ihre schlichte Botschaft lautet: Keine Bange, wir sind die Guten.
Stefan Reinecke
Der neuen, rot-grünen Erinnerungspolitik fehlt jede SelbstreflexionDer Weg zur Normalisierung ist mit Auschwitz-Vergleichen gepflastert
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