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„Kein blinder Gehorsam“

■ Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, über Militärtraditionen und grüne Positionswechsel

taz: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern – was fällt Ihnen dazu ein?

Angelika Beer: Nicht viel. Wenn es sich auf einen bestimmten Positionswechsel bei den Grünen beziehen sollte, dann kann ich nur sagen, daß es sich früher nicht um Geschwätz gehandelt hat, sondern es gibt politische Entwicklungen. Dazu gehört auch die Frage des erstmals im Bendlerblock stattfindenden Gelöbnisses. Dazu sage ich: Es ist richtig zum 55. Jahrestag, an dem Deutsche versucht haben, den Diktator zu beseitigen, Rekruten mit diesem historischen Ereignis zu konfrontieren. Es ist ein Signal, klarzustellen, daß die Wehrmacht kein Traditionsbezug für die Bundeswehr sein kann.

Früher fanden Grüne wie Sie Gelöbnisse blöd.

Es geht nicht um blöd, sondern es geht um die Frage des Mißbrauchs, der vom früheren Verteidigungsminister Volker Rühe betrieben worden ist. Er hat Gelöbnisse gezielt immer dort durchgesetzt, wo massiver Widerstand zu erwarten war und so die Bundeswehr für sich instrumentalisiert. Der Unterschied ist, daß wir in der Koalitionsvereinbarung durchsetzen konnten, daß wir zurückwollen zu der zentralen Dienstvorschrift, daß Gelöbnisse in der Regel in Kasernen stattfinden.

Sie verlangen von den Soldaten „mitdenkenden Gehorsam“. Was meint dies?

Mitdenken bedeutet, daß sich Soldaten nicht in eine Tradition vergraben, die mit der Gegenwart und einem demokratischen Deutschland nichts zu tun hat. Die Eingeschränktheit an Freiheiten, die Soldaten akzeptieren müssen, bedeutet nicht, daß sie ihre Rechte aufgeben müssen. Dazu gehört erstens, daß Bundeswehrsoldaten in Einsätzen auch außerhalb des eigenen Landes niemals in eine Situation kommen dürfen, sich auf die falsche Seite zu stellen. Und zweitens, daß es keinen blinden Gehorsam geben sollte gegenüber Befehlen, die dem Grundsatz der Menschenrechte, Menschenwürde und Verteidigung der Demokratie widersprechen.

Egal wo und an welchem Tag, ein Gelöbnis bleibt eine irrationale Veranstaltung, meint Christian Herz, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht.

Ich halte ein Gelöbnis für keine irrationale Veranstaltung. Ich denke, Gelöbnisse sollten in Kasernen deshalb öffentlich sein, um das Militär nicht zu isolieren. Es ist an der Zeit, daß die Bundeswehr ein Stück in die Normalität rückt, in dem sich die Bundeswehrliegenschaften weiter als bisher für die Bevölkerung öffnen.

Was möchten Sie Ihren ehemaligen Freunden aus der Friedensbewegung mit auf dem Weg geben, die heute am Bendlerblock auf der anderen Seite der Barrikade stehen werden?

Ich erkenne jeden Protest gegen überholte militärische Zeremonien an. Die Bundeswehr ist aber nicht die Reichswehr, und dies wird durch das Gedenken zu diesem Jahrestag der Opfer des deutschen Widerstands deutlich. Interview: Eberhard Seidel

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