piwik no script img

Autofrei, die dritte

Auf dem Brachgelände an der Chausseestraße könnte in einigen Jahren ein autofreies Stadtviertel entstehen  ■   Von Martin Kaluza

Bislang war Plänen für autofreie Stadtviertel in Berlin wenig Erfolg beschienen. Dennoch wagte eine Arbeitsgemeinschaft aus BUND Berlin, dem Fußgängerschutzverein „per pedes“ sowie den Architekten Markus Heller und Andrea Müller nun einen erneuten Anlauf und präsentierte ein Konzept für das Brachgelände, auf dem früher das Stadion der Weltjugend stand. Glaubt man den Planern, so soll dieses Vorhaben bessere Chancen haben, realisiert zu werden, als im alten Schlachthof und in Lichterfelde-Süd.

Der Plan für das 13 Hektar große Areal an der Panke sieht neben der Wohn- und Gewerbebebauung viel Grün vor. Entlang der Chaussee- und der Habersaathstraße sollen dicht nebeneinander liegende Gebäude in Berliner Traufhöhe den flacher und lockerer bebauten Innenbereich abschirmen. Geplant sind um die 500 Wohnungen plus Sportstätten, Kleingewerbe, einem Marktplatz und Infrastruktur. Um im Innenbereich Lieferverkehr zu vermeiden, wird das Gewerbe vor allem an den Straßen untergebracht. Autos dürfen, mit Ausnahme von Feuerwehr, Rettungs- und Umzugswagen, nicht passieren. Das verringert nicht nur Lärm und Abgase, sondern auch das Unfallrisiko – schließlich ereignen sich die Hälfte aller Unfälle, in denen Kinder zu Schaden kommen, im Umkreis von 500 Metern um die eigene Wohnung.

Erklärtes Ziel der Planer ist es zudem, daß keiner der Bewohner ein eigenes Auto hat. Zwar werde niemandem verboten, eins zu besitzen, aber die 120 bis 150 geplanten Tiefgaragenplätze sollen dem Car-sharing, dem Gewerbe und Gästen vorbehalten sein.

Allein die Lage des Grundstücks würde es Bewohnern leicht machen, auf den eigenen Wagen zu verzichten. U-Bahn, Tram und Bus liegen direkt vor der Tür, und zum Bahnhof Friedrichstraße sind es drei Stationen mit der U 6. Außerdem soll sich ein kleines Unternehmen mit acht bis zehn Angestellten im Alltag darum kümmern, daß keine Transportprobleme aufkommen: Die „Mobilitätszentrale“ kümmert sich um das Car-sharing, verkauft Umweltkarten, repariert und verleiht Fahrräder und organisiert die Besucherparkplätze. Außerdem sucht sie Zug- und Busverbindungen heraus. Dieser Service soll pro Haushalt nicht mehr als 30 bis 50 Mark kosten. Bei einem Stadtviertel von 500 Haushalten, so Heller, lohne sich eine solche Einrichtung.

Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, meint, daß in einem solchen Viertel Baukosten eingespart werden können: „Berlin baut Sozialwohnungen mit Pkw-Stellplätzen, die 50.000 Mark kosten und die Miete erhöhen.“ Infrastrukturkosten, die nur für Autos anfielen, würden bislang immer von Nicht-Autofahrern mitfinanziert, und die Hälfte der Berliner Haushalte habe ohnehin kein eigenes Auto. „Andererseits“, so Cramer, „haben wir eine ganze Menge leerstehenden Wohnraum. Wir brauchen vor allem preiswerte Wohnungen, und ob dazu Neubauten viel beitragen, weiß ich nicht.“

Zwei Investoren hat die Arbeitsgemeinschaft bereits aufgetan. Heller: „Die Interessenten sehen autofreies Wohnen als eine Marktlücke und sind sicher, daß damit Geld zu verdienen ist.“ Die Kondor Wessels Nord GmbH will 100 Eigentumswohnungen verkaufen, und die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG (die sich schon für das geplatzte Vorhaben in der Eldenaer Straße interessiert hatte) will genossenschaftlich 50 bis 100 Einheiten bauen. Zusätzlich sucht die Arbeitsgemeinschaft noch weitere Gesellschaften, die Mietwohnungen bauen oder Anlegerfondsmodelle anbieten.

Bislang haben sich 87 Parteien gefunden, die gern in dem geplanten Viertel wohnen würden, ob als Eigentümer, Genossenschaftler oder als Mieter. Allerdings weiß noch niemand, was Bau, Eigentumswohnungen oder Miete eigentlich kosten würden. Damit demnächst mit konkreten Zahlen gerechnet werden kann, feilen die Architekten jetzt an jetzt die Details des Entwurfs.

Mit diesen Vorarbeiten hofft Heller, daß das autofreie Stadtviertel an der Panke mehr politische Unterstützung bekommt als die Vorhaben Alter Schlachthof und Lichterfelde-Süd: „Dort wie in anderen Städten waren die Befürworter zwar sehr stark politisiert, aber sie hatten wenig eigene Planung gemacht.“ So sollten in einigen Fällen einfach bestehende Straßen mit Pollern verstellt werden. An der Panke hingegen habe man zunächst mit Planung und Investorensuche begonnen. Und mit den Investoren wollen die Planer nun auf den Senat zugehen.

Die Behörden halten sich vorerst bedeckt. Mittes Bürgermeister Joachim Zeller (CDU) hält den Vorschlag zwar für „eine ganz nette Idee“, doch auf dem Gelände werde „mittelfristig nichts passieren“. Er erinnert daran, daß für die Bebauung des Geländes 1995/96 ein Wettbewerb ausgeschrieben war, den der Architekt Max Dudler mit seinem Entwurf für 2.000 Wohnungen gewonnen hatte. In Dudlers teuren Entwurf will jedoch bislang niemand investieren. Wenn dieser nicht realisiert werde, bemerkt Bürgermeister Zeller vorsichtig, sei der autofreie Vorschlag „sicherlich eine ernsthafte Variante“, aber es gebe auch noch andere Interessenten. Architekt Heller wertet das schon als Ermutigung: „Wir hatten eigentlich befürchtet, wir könnten im vornherein auf eine klare Ablehnung stoßen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen