: Schwamm weicht Umzug auf
Das Gebäude der grünen Parteizentrale ist vom Pilzbefall betroffen. Die Kosten explodieren, die Sanierung macht den Umzug des Bundesvorstands unmöglich ■ Von Rolf Lautenschläger
Jürgen Trittin, damals noch als Vorstandssprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen aktiv, mimte schon einmal den Staatsmann. Vom kleinen Balkon der künftigen Parteizentrale am schmucken „Platz vor dem neuen Tor“ nahe dem Regierungsviertel winkte er herunter und verkündete die frohe Botschaft. Die Partei habe just für sieben Millionen Mark den Altbau angekauft und beabsichtige, ihn für rund drei Millionen Mark zu sanieren. Mitte 1999, so Trittin im Frühjahr 1997, „wird der Bundesvorstand seinen Sitz von Bonn nach Berlin verlegen“. Das neue Domizil signalisiere die „sichtbare Präsenz“ der Bündnisgrünen im Zentrum der Hauptstadt.
Zweieinhalb Jahre später sieht es um die grüne Präsenz in der Hauptstadt schlecht aus. Der Altbau im Bezirk Mitte gleicht noch immer einer Baustelle, die Kosten explodieren. Die fünfgeschossige Fassade ist eingerüstet, der Putz abgeschlagen. Innen sind die Holzböden herausgerissen, neue Planken noch nicht einmal angeliefert. Von den Decken bröckelt es. Die Bauarbeiter sind dabei, Fenster einzusetzen, „der Rest ist Rohbau“, wie einer bemerkt.
Schuld an der baulichen Misere ist die Feuchtigkeit im Gebäude, Trittins Hoffnung vom Umzug des gesamten Bundesvorstands im Sommer 1999 hat der Schwamm aufgeweicht. An „mindestens 25 Stellen“ des 220 Räume umfassenden Gebäudes, erklärte der Architekt Wolfgang Poggemann, sei kürzlich „der Schwammbefall“ festgestellt worden. Der aggressive Pilz habe die Köpfe der Holzbalken, die in der Mauer stecken und die Decken tragen, befallen. Rund eineinhalb Meter jedes Balkens sei zerstört. Die müßten nun herausgerissen und erneuert werden, so Poggemann. Die Renovierungsarbeiten verzögerten sich dadurch um mehrere Monate.
Auch Poggemanns Bauleitung vom Berliner Architekturbüro Jochen Beer sieht den rechtzeitigen Einzug des Bundesvorstandes nicht. Durch die „unvorhersehbar aufgetauchten Sanierungsmaßnahmen“, sagt ein Mitarbeiter Beers, „werden wir nicht fertig“. Und weil sowohl Beer als auch Poggemann wissen, daß der Schwammbefall sich durch wandernde Sporen auf fast alle Hölzer ausgedehnt haben könnte, geben sie sich vorsichtig mit Einzugsprognosen und den zusätzlichen Kosten. „Wir prüfen Zeit und Kosten“, sagt Poggemann.
Klar ist schon jetzt, daß sich der Bau der Parteizentrale um mehrere Millionen Mark verteuert. Statt der anvisierten knapp zehn Millionen Mark für die 2.000 Quadratmeter große Immobilie aus dem 19. Jahrhundert rechnet Markus Bescher, Büroleiter des grünen Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütighofer, „mit Gesamtkosten von 15 Millionen Mark“. Und klar sei auch, daß der Umzug des Bundesvorstandes nicht im September über die Bühne gehen werde.
Laut Bescher streben die Bündnisgrünen deshalb eine Übersiedlung von Bonn auf Raten an: „Es ist geplant, daß Ende September eine Etage im ersten Obergeschoß bezogen werden kann.“ Die Fertigstellung der beiden weiteren zwei Etagen für die Parteispitze sowie der Tagungsräume und Büros, die an Institutionen vermietet werden sollen, hänge von der Sanierung ab. Konkret bedeute dies, daß zunächst nur Teile des Bundesvorstandes nach Berlin kommen werden. Die gesamte Parteispitze sowie rund 30 feste Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle rücken später nach. Als Notplan hat der Bundesgeschäftsführer Provisorien im Auge. Abteilungen „von nachrangiger Bedeutung“ sollen vorübergehend in anderen Gebäuden untergebracht werden.
Zu den kalkulierten 15 Millionen Mark könnten also noch Mehrkosten für Mieten hinzukommen. Außerdem blühen dem grünen Bundesschatzmeister Verluste, da die anvisierten Einnahmen der Büromieter erst später zum Tragen kommen.
Gemischte Karten haben die Grünen auch bei einer möglichen Entschädigung wegen des Schwammbefalls. Beim Hauskauf, erklärt Bescher, „sind Stichproben am Holz gemacht worden, und bei denen haben wir nichts feststellen können.“ Erst bei Nachuntersuchungen habe sich die Feuchtigkeit erkennen lassen. Architekt Poggemann sieht bei sich kein schuldhaftes Verhalten. Vor Baubeginn sei ein Holzgutachten auf der Grundlage „punktueller Untersuchung“ erstellt worden. Der gute Zustand des Gebäudes habe eine Prüfung sämtlicher 220 Räume nicht erforderlich scheinen lassen. Das schlechte Gewissen indessen ist ihm anzumerken: Erst einmal habe das Büro die Bauarbeiter verdoppelt, „damit wenigstens die eine Etage fertig wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen