Die Türkei auf dem Weg nach Europa?

■ Bundesaußenminister Fischer wird in Istanbul äußerst freundlich empfangen: Der europäische Markt ist für die Türkei der wichtigste

Istanbul (taz) – Sowohl die Bundesregierung als auch die Türkei scheinen fest entschlossen, den Besuch von Bundesaußenminister Fischer in Istanbul und Ankara als Erfolg zu verkaufen. Die türkische Presse erklärte den Besuch als Beginn einer „neuen Seite im Verhältnis zu Europa“ (Milliyet), und auch der vorab Gelobte streichelte kurz vor seiner Ankunft die türkische Seele. In einer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg am Mittwoch morgen bedauerte Fischer, daß die Türkei noch immer nicht offiziell Kandidat für die Vollmitgliedschaft ist.

Die Freundlichkeiten haben aus türkischer Sicht einen guten Grund. Der europäische Markt ist für die Türkei mit weitem Abstand der wichtigste, vor allem nachdem im letzten Jahr das Rußland-Geschäft fast völlig zusammengebrochen ist. Aus diesem Grund verhandelt Ministerpräsident Ecevit seit Monaten mit dem IMF, obwohl er ein ausgewiesener Gegner dieser Institution ist, und aus diesem Grund wurde Bundesaußenminister Fischer gestern so überaus freundlich in Istanbul empfangen. Der türkische Außenminister nahm ihn erst einmal zu einem privaten Plausch in sein Haus am Bosporus mit und zeigte ihm die Annehmlichkeiten Istanbuls, bevor heute das offizielle Programm in Ankara begann.

Wie dringend die Türkei auf den EU-Markt angewiesen ist, zeigt aber noch deutlicher eine andere Delegation. Zeitgleich mit Fischers Besuch in der Türkei empfing Kanzler Schröder in Bonn die wichtigsten türkischen Industriellen zu einem Meinungsaustausch. Dieser Besuch wird in Ankara als weiterer Beleg dafür gewertet, daß der Bundesregierung tatsächlich an einer Verbesserung der Beziehungen zur Türkei liegt.

Dabei waren die gegenseitigen Freundlichkeiten durchaus nicht selbstverständlich. Seit die Türkei sich durch die EU vor zwei Jahren brüskiert fühlte, sucht das Land verstärkt nach politischen und ökonomischen Alternativen zu einer EU-Mitgliedschaft. Am erfolgversprechendsten schien da das Bündnis mit Israel. In der letzten Woche besuchte Staatspräsident Demirel den neuen israelischen Regierungschef Barak, um einen Neuanfang des Friedensprozesses zu unterstützen. „Wir hoffen“, sagte Demirel nach seinem Treffen mit Barak, „daß man bald in Tel Aviv ins Auto steigen kann, um nach Adana zu fahren.“

Wenn nach einem Friedensschluß in der Region eine neue wirtschaftliche Entwicklung beginnt, kann die Türkei nur profitieren. Baufirmen, Autoproduzenten und Lebensmittelkonzerne stehen bereit, um den Markt zu bedienen. Darüber hinaus hat die Türkei noch ein spezielles Produkt für Israel und andere zahlungskräftige Nahost-Länder im Angebot: Wasser. „Wasser“, so Demirel, „kann mit Tankern geliefert werden. Das ist immer noch billiger als Entsalzungsanlagen zu bauen.“

Jetzt, so hofft man in Ankara, wird es sich bald auszahlen, daß man über Jahre die Schmähungen der muslimischen Brüder für den Pakt mit Israel in Kauf genommen hat. Wenn erst einmal der Dollar im Nahen Osten rollt und die türkisch-europäischen Beziehungen immer noch auf der Stelle treten, wird der Empfang für deutsche Außenminister wieder wesentlich frostiger ausfallen. Jürgen Gottschlich