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Im Tiefflug über Häuser

■ Fluglärm-Geschädigte befürchten die Nutzung der vollen Landebahn-Kapazitäten / Stuhr-Vertrag über die Nutzung der Landebahn steht jedoch nicht zur Debatte

Es wurden „bereits jetzt Fakten für den zukünftigen Rechtsbruch geschaffen.“ So hart sieht es die Vorsitzende des Vereins zum Schutz Flugverkehrsgeschädigter, die SPD-Politikerin Monika Morschel. Als „Geschädigte“ definiert sie die „Häuslebauer und Mieter rund um den Flughafen“, die auf eine bald 20 Jahre alte Zusage bauen, daß der stadtnahe Flughafen nicht für die großen Boeings ausgebaut werden soll. Als dann der Bremer Flugzeug-Bauer Dasa für den Transport der Airbus-Flügel eine längere Startbahn benötigte, da wurde in einem Vertragswerk mit der Gemeinde Stuhr, dem sog. Stuhr-Vertrag, ausgehandelt, daß die Verlängerung der Startbahn, auf jeder Seite 300 Meter, nur für die Flugzeugbauer genutzt werden darf.

„Rechtsbruch“, so die Befürchtung der Fluglärm-Geschädigten, droht, weil entgegen dem Stuhr-Vertrag von „voller Nutzung der Startbahn“ geredet wird. Sogar im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD steht eine Formulierung, die so interpretierbar sein könnte: „Volle Nutzbarkeit der vorhandenen Kapazitäten“ solle sichergestellt und „zukünftigen Wachstumserfordernissen“ solle Rechnung getragen werden, steht da. Von der SPD-Beschlußlage, „die der Bevölkerung anläßlich der Erweiterung des Flughafens vom Senat gegebenen Zusage einzuhalten“, steht im Koalitionsvertrag dagegen nichts.

Besonders alarmiert ist Morschel, seitdem der Lobbyist des Flughafens, der CDU-Deputierte Stephan von Dellingshausen, unter Bezugnahme auf den Koalitionsvertrag die Nutzung der 600 Meter Startbahn-Verlängerung fordert. Wenn die schweren Flugzeuge mehr Bahn für ihre Starts nutzen können, müssen sie weniger aufdrehen und können also leiser starten, ist Dellingshausens Argument. Das, so meinte er gegenüber der taz, soll auch die Gemeinde Stuhr überzeugen, und wenn die einer Änderung des Stuhr-Vertrages zustimme, sei alles klar.

„Totaler Blödsinn“, sagt Monika Morschel – wenn die dicken Brummer später abheben, fliegen sie auch dichter über den Dächern. Die Fluglärm-Gegner haben den Eindruck, wenn sie bestimmte Starts beobachten, daß das heute schon – illegalerweise – passiert. Denn die Kontrolle des Stuhr-Vertrages liegt ganz in der Hand derer, die ihn ablehnen.

Klaus Rudolph, grüner Fluglärm-Geschädigter und Obervielander Beirat, hat auch diesen Verdacht. Unter normalen Witterungsbedingungen braucht eine voll beladene A 310 zum Beispiel 2.225 Meter Startbahn, in Bremen stehen aber nur 2.034 legalerweise zur Verfügung. Die Versuchung, die für die Dasa gebaute Verlängerung mit zu nutzen, um voll beladen oder mit verringerter Triebwerksleistung starten zu können, ist hoch.

Der Sprecher des Flughafens, Siegfried Spörer, winkt ab: Die „volle Nutzung“ der Startbahn, wie sie betoniert ist, würde vielleicht den Lärm vermindern oder die Sicherheit vergrößern, aber nicht zum Einsatz größerer Flugzeuge führen, weil die Passagier-Mengen dafür nicht da sind. „Das Wohl und Wehe des Flughafens hängt nicht davon ab“, sagt Spörer.

In Stuhr sind Pressemitteilungen über den Passus des Koalitionsvertrages gelesen worden, aber was das bedeuten soll, hat keiner der Bremer Politiker erklärt. Revision des Stuhr-Vertrages? „Das würde hier einen Sturm entfachen, den wir nicht überleben würden“, sagt der Baudezernent von Stuhr. Der Wirtschaftssenator Claus Jäger sei mal dagewesen, Jahre ist das her. Seitdem sei das Thema nie wieder von einem bremischen Besucher angesprochen worden.

Dettmar Dencker ist beim Häfensenator zuständig für den Flugverkehr. Auch er winkt ab. Bei ihm ist auch noch keine Interpretation des Satzes über die „volle Nutzbarkeit der Kapazitäten“ aus dem Koalitionsvertrag angekommen. Aber die Fluglärm-Geschädigten mißtrauen solchen Beteuerungen. Noch im Februar, erinnert Morschel, hatte derselbe Dencker formuliert, er würde „dazwischenhauen“, wenn die Condor-Maschine nach 22.30 Uhr landen sollte. Inzwischen landet sie in der Phase des Nachtflugverbotes – der Ausnahme-Status eines „home-carriers“ macht es möglich. K.W.

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